1833 – 1842 Theaterpraxis – Schuldenflucht
Erste Theaterpraxis in Würzburg (1833)
Im Januar 1833 reiste Wagner nach Würzburg zu seinem Bruder Albert, der dort am Stadttheater als Sänger engagiert war. Wagner lebte in einer bescheidenen Stube im Haushalt seines Bruders, nicht weit vom Theater, und trat auf dessen Vermittlung die befristete Stelle eines Chordirektors am gleichen Haus an. Das Engagement beinhaltete ein eher spärliches Gehalt von „monatlich 10 Gulden“ für „saure Arbeit“ („Mein Leben“). Das umfangreiche Repertoire beinhaltete Herolds „Zampa”, Cherubinis „Wasserträger“, Webers „Freischütz”, Beethovens „Fidelio” und Aubers „Fra Diavolo”, außerdem standen Neueinstudierungen von Meyerbeers „Robert der Teufel“ und Marschners „Vampyr“ auf dem Spielplan.
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Richard Wagners erstes Bildnis, 1835 in Magdeburg |
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Dennoch fand Wagner auch Zeit für private Vergnügungen. Er verliebte sich zweimal für kurze Zeit, Therese Ringelmann, Sopranistin im Opernchor, und die Sängerin Friederike Galvani, er traf sich mit Freunden, war in Prügeleien verwickelt und machte „oft Ausflüge in die Umgebung, wobei es in bayerischem Bier und fränkischem Wein lustig herging.“ Zu seinem Stammlokal wurde ein östlich vom Zentrum, am Galgenhügel, gelegener Biergarten und –keller: „Der »Letzte Hieb«, ein auf anmutiger Höhe gelegener öffentlicher Biergarten, ward fast allabendlich Zeuge meiner wilden, oft enthusiastischen Lustigkeit und Ausgelassenheit.“ („Mein Leben“)
Mit Ende der Theatersaison endete auch Wagners Engagement als Chordirektor. Er blieb in der Stadt und arbeitete an seiner neuen Oper „Die Feen“, auf deren Uraufführung er in Würzburg hofft. Den ersten Akt schloss er bereits im August ab, den zweiten und dritten im Lauf des Jahres. Erste Teile der Oper wurden tatsächlich in Würzburg uraufgeführt: „Als der Winter herannahte und das Theater wieder begann, trat ich zwar nicht wieder in Beziehung zu diesem, tat mich aber desto mehr in den Konzerten der Musikgesellschaft heraus, in welchen ich meine große C-dur-Ouvertüre und Symphonie, sowie endlich auch Stücke aus der neuen Oper selbst zur Aufführung brachte. Eine Dilettantin mit vorzüglicher Stimme, Fräulein Friedel, sang die große Arie der Ada; und zudem kam ein Terzett zu Gehör, welches auf meinen Bruder, der darin mitsang, bei einer Stelle, wie er mir selbst gestand, zu seiner Überraschung eine so ergreifende Wirkung machte, daß er darüber seinen Eintritt verfehlte.“ („Mein Leben“) Im Januar 1834 stellte Wagner die Partitur fertig und ging eilig nach Leipzig zurück, da er auf Vermittlung seiner Schwester auf eine dortige Uraufführung hoffte. Der Versuch schlug allerdings fehl: Die Oper blieb, obwohl schon angekündigt, aufgrund von Differenzen mit der Theaterleitung und dem Regisseur ungespielt.
Provinz und Liebe in Bad Lauchstädt (1834)
Im Sommer 1834 reiste Wagner mit seinem Gönner und Freund Theodor Apel durch Böhmen, machte Stationen Teplitz und Prag. Ende Juli 1834 kam Wagner zurück nach Leipzig und fand ein Angebot der Magdeburger Theatergesellschaft vor, die gerade im kleinen Sommertheater von Bad Lauchstädt gastierte. Er sollte die Stelle des Musikdirektors übernehmen.
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Wagners Wohnhaus in Würzburg |
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Albert Wagner, Sänger, Schauspieler und Regisseur |
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Zuschauerraum in Bad Lauchstädt |
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Das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt |
Bad Lauchstädt, eine 55 Kilometer von Leipzig entfernt gelegene Kleinstadt, war Anfang des 19. Jahrhunderts ein beliebter Ort für die Sommeraufenthalte des Weimarer Hofes und seiner Schauspieler, auch für Goethe und Schiller, gewesen. Zu Wagners Zeiten war es die Dependance des Theaters von Magdeburg, das hier wie in Rudolstadt an der Saale mit seiner Truppe im Sommer spielte. „Dieser kleine Badeort hatte zur Zeit Goethes und Schillers eine höchst rühmliche Bedeutung gewonnen;“ resümierte Wagner den bereits verblühten Ruhm Bad Lauchstädts in „Mein Leben“, „das aus Holz errichtete Theater war nach Goethes Plan ausgeführt; dort hatte die erste Aufführung der „Braut von Messina“ stattgefunden.“
Doch der erste Eindruck war für Wagner enttäuschend, der Ort machte „einen sehr bedenklichen Eindruck“ auf ihn. Mehr noch das Theater: Das Ensemble und vor allem der langjährige Theaterdirektor Heinrich Bethmann wirkten auf Wagner heruntergekommen. Auch das ehemals so zierliche Sommertheater hatte erste Alterserscheinungen, Anfang der 1830er Jahre hatte sich das Dach des Theaters um fast einen Meter gesenkt und die Außenwände nach außen gedrückt. Schwere Stützpfeiler aus Bruchsteinen mussten dem Gebäude wieder Halt geben. Wagner blieb dennoch. Zum einen brauchte er die neue Stelle, die Uraufführung seiner Oper „Die Feen“ war auf Eis gelegt und er hatte Schulden gemacht: „Weinrechnungen, - Schneiderrechnungen“ (Richard Wagner: Briefe I).
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Minna Planer, Wagners erste Frau |
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Zum anderen lernte er bald das als „erste Liebhaberin der Gesellschaft“ engagierte „Fräulein Minna Planer“ kennen, eine junge, sehr attraktive und erfolgreiche Schauspielerin, deren „Hausgenosse“ (ML) er zu allem Überfluss werden sollte. „Ihre Erscheinung und Haltung stand in dem auffallendsten Gegensatze zu all den unangenehmen Eindrücken des Theaters“, notierte er, blieb und gab am folgenden Sonntag, den 2. August 1834 mit dem „Don Giovanni“ sein erfolgreiches Debüt bei der Bethmann`schen Truppe. Nicht gleich erfolgreich war er bei seiner Werbung um die attraktive Schauspielerin Minna Planer. Die gemeinsame Unterbringung ermöglichte aber Kontakte abseits der Proben und Aufführungen: „Als ich eines Abends spät in mein Parterre-Zimmer, weil ich den Hausschlüssel nicht mit mir führte, durch das Fenster zurückkehrte, zog das Geräusch dieses Einbruches Minna an ihr über dem meinigen gelegenes Fenster; ich bat sie, immer auf meinem Fenstersims stehend, mir zu erlauben, ihr noch gute Nacht zu sagen; sie hatte nicht das mindeste dagegen, nur müsse dies vom Fenster aus geschehen, da sie ihr Zimmer stets von ihren Wirtsleuten schließen ließ und dort niemand hereinkönnte: freundlich erleichterte sie mir den Händedruck durch weites Herabbeugen ihres Oberkörpers, so daß ich die Hand, auf meinem Fenster stehend, erfassen konnte.“ (ML)
"Das Liebesverbot" und Theaterpleite in Magdeburg (1834-1835)
Nach einer längeren Gastspielreise kehrte die Bethmann’sche Truppe zur beginnenden Theatersaison im Oktober 1834 nach Magdeburg zurück, in eine kulturell aktive Garnisonsstadt mit anspruchsvollem Publikum, von dem sich Wagner gefordert sah. Wagner inszenierte und dirigierte mehrere Opern, bei den Proben sang und spielte er den Darstellern ihre Rollen vor. Auch beim Dirigieren beschritt er neue Wege und dynamisierte die Musiker mit ekstatischen Bewegungen. Zu einem Schauspiel seines Freundes Theodor Apel komponierte Wagner hier im Januar 1835 seine „Columbus“- Ouvertüre, außerdem begann er mit der Orchesterskizze seiner Oper „Das Liebesverbot“.
Die erste vollständige Theatersaison Wagners – sie verlief für ihn im Ganzen erfolgreich – endete damit, dass sich das Ensemble wegen Zahlungsunfähigkeit der Direktion im Mai 1835 auflöste. Wagner verlor seine nur kurz innegehabte Stelle und ging zurück nach Leipzig – erneut als mittelloser Komponist. Als überraschend die Aussichten auf eine neuerliche Saison am Magdeburger Theater stiegen, er also seine Tätigkeit dort wieder aufnehmen konnte, unternahm er sofort eine Rundreise durch Mitteldeutschland, um neue Sänger zu engagieren.
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Das Magdeburger Theater, in dem am 29. März 1836 Wagners Oper »Das
Liebesverbot« als »Die Novize von Palermo« Premiere hatte |
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Am 1. September 1835 kehrte er nach Magdeburg zurück und begann, Louis Spohrs Oper „Jessonda” für die neue Saison einzustudieren. In Magdeburg wurde nun wieder gespielt, aber die Finanznot und der dauernde Streit am Theater, auch die zunehmende eigene Verschuldung belastete Wagners Arbeit. Hinzu kam, dass Minna Planer das Angebot eines Engagements als Schauspielerin nach Berlin erhielt, was Wagner auch deshalb schwer traf, weil seine eigene berufliche Zukunft völlig ungesichert schien. Während er im Oktober noch an seinen Freund Apel geschrieben hatte: „Was meinst Du? Wenn ich sie [Minna] so recht absichtlich hintergangen haben werde, habe ich da nicht ein Meisterstück gemacht? Oder soll ich ein Filister werden? Ihr Leipziger werdet es entscheiden!“ (Briefe I) begleitet er ihre Sondierungsreise nach Berlin jetzt mit eifersüchtigen Briefen an die „liebe Braut“, in denen er sie erfolgreich bat, das Angebot abzulehnen.
Große Hoffnung setzte Wagner in ein neues eigenes Bühnenwerk, das den wirtschaftlichen Durchbruch bringen sollte und es damit ermöglichen würde, Minna zu heiraten. Bereits gegen Ende des Vorjahres hatte er am Text einer neuen großen komischen Oper gearbeitet, dem „Liebesverbot“ nach der Vorlage von Shakespeares „Maß für Maß“, nun setzte er die Arbeit an der Musik fort. Es entstand eine Oper, die stimuliert wurde von der Überzeugung eines gesellschaftsverändernden Aufbruchs, die gerichtet war „gegen die puritanische Heuchelei“, geschrieben „zur kühnen Verherrlichung der freien Sinnlichkeit“ (ML). Die Partitur der Oper war im Januar 1836 abgeschlossen, bis kurz vor der Uraufführung nahm Wagner allerdings Veränderungen vor. Das in zehn Tagen einstudierte und wegen Zensurschwierigkeiten in „Die Novize von Palermo“ umbenannte Werk wurde am 29. März 1836 unter Wagners Leitung in Magdeburg uraufgeführt. Da die Schauspieler in der kurzen Vorbereitungszeit den Text nicht richtig auswendig zu lernen vermochten und sich aufs Improvisieren verlegen mussten, blieb das Werk dem Publikum fremd und gänzlich unverständlich. Eine zwei Tage später angesetzte Wiederholung wurde nach Wagners Erinnerung wegen einer Schlägerei unter dem Theaterpersonal kurz vor Beginn abgesagt – sie wäre ohnehin ein Fiasko geworden, da sich kaum Zuschauer zur Aufführung eingefunden hatten. Da Wagner in einem Kontrakt mit dem Theaterdirektor Bethmann festgelegt hatte, alle Kosten auf eigenes Risiko selbst zu tragen verschärfte der Misserfolg seine bereits katastrophale finanzielle Lage.
Auch das Theater selbst befand sich erneut in Auflösung, die Saison endete wie die vorausgegangene: Das Ensemble lief wegen Bankrotts der Theaterdirektion auseinander. Minna Planer hatte auf Drängen Wagners auf das Berliner Engagement verzichtet, sich aber inzwischen erfolgreich nach Königsberg an das dortige Theater beworben. Wagner, der kein eigenes Engagement in Aussicht hatte, beschwor sie in leidenschaftlichen Briefen, „diesen unruhigen u. zweideutigen Theateraffairen“ (Briefe I) zu entsagen – umsonst. Über Berlin, wo Wagner sich vergebens um eine feste Anstellung bemühte, reiste er, nachdem Freunde Geld für ihn gesammelt hatten, im Juli 1836 zu Minna nach Königsberg.
Königsberg (1836-1837)
Im Juli 1836 erreichte Wagner Königsberg (seit 1946 Kaliningrad), der damaligen Hauptstadt und dem geistigen Zentrum der Provinz Preußen mit 70.000 Einwohnern. Im 18. Jahrhundert war die Handelsstadt Königsberg auf dem Höhepunkt ihrer Bedeutung gewesen, sie zählte zur Wende zum 19. Jahrhundert mehr Einwohner als Köln, Frankfurt/Main oder München. Durch den 1724 in Königsberg geborenen Immanuel Kant, der sein ganzes Leben in Königsberg verbrachte, wurde die dortige Universität zu einem Zentrum der Philosophie, seine Vorlesungen an der Universität hörte auch Johann Gottfried Herder. Noch zur Lehrzeit Kants studierte hier auch E. T. A. Hoffmann (*1776 in Königsberg), allerdings Jura. Kants kritischer Einfluss auf die Romantik hat wohl auch Wagner zur Auseinandersetzung angeregt.
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Königsberg um 1850 |
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Tragheimer Kirche, in der am 24. November 1836 die Hochzeit Wagners mit Minna Planer stattfand |
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Am Königsberger Stadttheater, einem Mehrsparten-Haus, hatte Minna Planer ein Engagement gefunden. Wagner folgte ihr im Sommer 1836 mit der vergeblichen Hoffnung auf eine Anstellung. Trotz der prekären wirtschaftlichen Lage, resultierend aus nur gelegentlicher Beschäftigung am Theater und einem misslungenen Opernprojekt („Die hohe Braut“), konnte Wagner Minna Planer überreden, ihn zu heiraten. Die Trauung fand am 24. November 1836 in der kleinen Kirche von Tragheim statt, einer nördlich vom Zentrum gelegenen Vorstadt von Königsberg, unweit der gemeinsam bezogenen kleinen und feuchten Wohnung.
Es war ein schwerer Start für das junge Ehepaar, vor allem wegen Wagners beruflicher Misere. Minna beschrieb die Situation dreizehn Jahre später, als Wagner sich von ihr trennen wollte, in einem Brief an ihn so: „Was warst Du denn als ich Dich heirathete? Du warst ein armer, verlassner, unbekannter, unangestellter Musikdirector, und was standen mir damals für Aussichten bevor! Mein ganzes Thun und Schaffen in unsrer Häuslichkeit war ja nur um Dir es recht zu machen, […] sogar meine Selbstständigkeit die ich so hoch hielt, gab ich freudig auf, um Dir ganz angehören zu können.“
Im April 1837 fand Wagner endlich eine Anstellung als Musikdirektor, die er aber wegen des Bankrotts des Theaters gar nicht erst anzutreten brauchte. Wagner war also weiterhin ohne Arbeit, reagierte aber gleichzeitig zunehmend eifersüchtig auf Minnas Beruf als Schauspielerin, in „Mein Leben“ spricht er sogar von ihren „widerwärtigsten Auftritten“. Sein dennoch sorgloser Umgang mit Geld und die deshalb steigende Verschuldung verschärften die Streitigkeiten zwischen den Eheleuten und das Königsberger Stadtgericht drohte bereits die verpfändeten Möbel abzuholen.
Ende Juni floh Minna zu ihren Eltern nach Dresden, laut Wagners Aufzeichnungen in Begleitung eines Liebhabers. Über mehrere aufreibende Wochen hielt das Zerwürfnis mit Teilversöhnungen an. Als Wagner schließlich ein Engagement in Riga erhielt, kam Minna nach. Auf das Angebot eines Engagements am Rigaer Theater verzichtete sie und leitete damit das Ende ihrer Bühnenlaufbahn ein.
Riga (1837-1839)
Riga war zu Wagners Zeit eine florierende Hafenstadt mit 60.000 Einwohnern. „Um die Mitte August 1837 segelte Richard Wagner nach mehrtägiger Seefahrt in den breiten Dünastrom ein und sah in wachsender Nähe die Türme der längs dem Ufer gelagerten alten Hansastadt Riga vor sich aufsteigen, deren regem bürgerlichen Gemeingeist einst Herder die Erweckung und Nährung seiner eigentümlichen Ansichten über bürgerliche und Staatsverhältnisse verdankte.“ (Glasenapp)
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Das Theater in Riga |
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Karl von Holtei |
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Riga im 19. Jahrhundert |
Wagner verbrachte in Riga fast zwei Jahre als Musikdirektor. Den Anstellungsvertrag für das Rigaer Stadttheater unterzeichnete er am 15. Juni 1837, und am 21. August trat er sein Amt an. „Nach meinen schlimmen Erfahrungen im Betreff der Eigenschaften der kleineren deutschen Theater”, erinnerte er sich in seiner Autobiographie und spielte damit auf seine Zeit als Musikdirektor in Magdeburg und Königsberg an, „wirkte zunächst die Beschaffenheit der dort neu begründeten Theaterzustände angenehm beruhigend. Eine Anzahl vermögender Theaterfreunde und reicher Kaufleute hatte eine Gesellschaft gegründet, um einer gewünschten guten Theaterdirektion eine solide Grundlage zu geben.” Tatsächlich fungierte das deutschsprachige Theater als kulturelles Zentrum, hier gastierten in der ersten Hälfte des 19. Jhr. auch Franz Liszt, Clara Schumann, Anton Rubinstein und Wilhelmine Schröder-Devrient.
Wagner stand ein kleines, aber versiertes Orchester zur Verfügung, das bei Bedarf mit Militärmusikern verstärkt wurde. Der bis zum Neubau des Theaters 1863 genutzte Theaterbau machte trotz seiner geringen Größe bleibenden Eindruck auf Wagner.
„In Wahrheit war der […] Saal des alten Rigaschen Stadttheaters in der Königstraße nach unseren heutigen Begriffen ein ziemlich düsterer Raum, mit nur einem einzigen Rang versehen, über welchem sich sofort die Galerie erhob [...]. Mit Bezug auf diesen Raum interpellierte der aus Riga, gebürtige Violoncellist Arved Poorten den Meister, indem er es einen Stall, eine Scheune nannte: ›wie haben Sie denn, Meister, darin dirigieren können?‹ Da habe ihm Wagner ernsthaft erwidert: drei Dinge seien ihm aus dieser ›Scheune‹ als merkwürdig in der Erinnerung geblieben: erstlich das stark aufsteigende, nach Art eines Amphitheaters sich erhebende Parkett, zweitens die Dunkelheit des Zuschauerraumes und drittens das ziemlich tief liegende Orchester. ›Wenn er je einmal dazu käme, sich ein Theater nach seinen Wünschen zu errichten, so werde er diese drei Dinge dabei in Betracht ziehen, das habe er sich schon damals gedacht.‹ Die Idee des Bayreuther Festspielhauses war für seinen zukünftigen Erbauer in diesen drei Elementen bereits im Keime enthalten.“
Im Frühjahr 1838 verließ Wagner seine enge Stadtwohnung und bezog den oberen Stock eines geräumigen Hauses außerhalb der alten Festungswälle in der Petersburger Vorstadt, nördlich vom Zentrum. Wagner arbeitete am Libretto zu einer komischen Oper mit dem Titel „Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie“ nach Motiven aus „Tausendundeine Nacht“, brach die Arbeit an der Vertonung aber ab und wendete sich dem anspruchsvolleren Projekt einer großen tragischen Oper zu: „Rienzi, der Letzte der Tribunen“, an dem er bereits in Magdeburg und im Sommer des Umzugs nach Riga gearbeitet hatte.
Die in Routine zu erstarren drohende tägliche Arbeit als Musikdirektor mit dem Repertoireprogramm langweilte ihn schnell, obwohl er sich die Arbeit mit einem zweiten Kapellmeister teilen konnte. Parallel veranstaltete er - außerhalb des Repertoireprogramms - in der Wintersaison 1838 einen Zyklus von sechs anspruchsvollen Orchesterkonzerten. Als Hauptwerke wurden Beethovens dritte bis achte Sinfonie, die große Leonoren-Ouvertüre, Mozarts späte Sinfonie in g-Moll, die Jubelouvertüre und das Vorspiel zu „Euryanthe” von Weber aufgeführt. Außerdem standen Gesangs- und Instrumentalsoli sowie Chöre auf dem Programm.
Wagners Rigaer Zeit endete ähnlich unerfreulich wie seine Engagements in Magdeburg und Königsberg. Bereits vor dem letzten dieser Konzerte am 7. Mai 1839 war die Stelle des Musikdirektors hinter seinem Rücken anderweitig vergeben worden. Wagner beschloss daraufhin, zum großen Sprung anzusetzen. Das Ziel hieß Paris.
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Wagner neben dem Steuermann auf der Thetis. Sie trotzen einem Sturm im Skagerrak, so wie es sich der Illustrator von National Geographic (1944) vorstellt. |
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Die Kompositionsarbeit am „Rienzi“ wurde unterbrochen, Wagner nahm vier Wochen lang Französisch-Unterricht, doch gegen den gewaltigen Schuldenberg, der sich wieder einmal angehäuft hatte, half schließlich nur die Flucht. Am 9. Juli 1839 begann von Bad Mitau aus, wo die Rigaer Theatertruppe gastierte, eine mehr als dreiwöchige abenteuerliche Reise, die ihn und seiner Frau beinahe das Leben kostete. Der Aufbruch musste heimlich erfolgen, ohne Papiere, damit die Gläubiger in Deutschland nicht durch Paßgesuche aufmerksam wurden, und bei Nacht und Nebel, wegen der Patrouillen an der ostpreußisch-russischen Grenze. Am 19. Juli 1839 gingen Wagner und seine Frau, beladen mit etlichen Koffern und begleitet von ihrem kurz vor der Abreise zugelaufenen Neufundländer „Robber“, in Pillau an Bord eines winzigen Seglers namens „Thetis“ und stachen in See Richtung Kopenhagen. Zehn Tage später gerieten sie im Skagerrak in einen verheerenden Sturm, der den Kapitän zwang, die Insel Boröya an der Südküste Norwegens anzulaufen. „Sandwike ist's! Genau kenn ich die Bucht“, heißt es später im „Fliegenden Holländer“. Auch das Toben des Sturmes und die Arbeitsrufe der Matrosen hatten sich unvergesslich eingeprägt und wurden in der Oper später musikalisch umgesetzt. Eine Woche später gerieten die Flüchtlinge erneut in einen Sturm. Diesmal war der Seegang so heftig, dass sie in der Kajüte ihren Tod erwarteten.
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Giacomo Meyerbeer |
Am 12. August 1839, nachdem sie vor der Küste Englands noch ein drittes Mal schwerste Wetter zu überstehen hatten, kamen sie in London an, mieteten sich für eine Woche im Boardinghaus „Kingsarm“, Old Comptonstreet, ein. Am 20. August fuhren Richard und Minna Wagner per Dampfschiff über den Kanal nach Boulougne-sur-Mer. Wagner plante, weiter am „Rienzi“ zu arbeiten, bevor sie nach Paris reisen wollten und hatte außerdem auf der Überfahrt erfahren, dass der Komponist Giacomo Meyerbeer sich in der Stadt aufhielt. Der Besuch bei Meyerbeer verlief für Wagner äußerst zufriedenstellend, der bereits berühmte Komponist nahm den jungen Kollegen freundlich auf, ließ sich geduldig aus dem „Rienzi“ vorlesen und sagte zu, empfehlende Briefe an die Direktion der Großen Pariser Oper zu schreiben. Außerdem machte er Wagner mit dem Komponisten Ignaz Moscheles und der Pianistin Marie Leopoldine Blahedka bekannt, die sich gerade in Boulogne-sur-Mer aufhielten. Nach knapp vierwöchigem Aufenthalt in der kleinen Hafenstadt erreichten Richard und Minna Wagner am 7. September 1839 Paris.
Paris (1839-1842)
Am 17. September 1839 trafen die Wagners voller Hoffnungen in Paris ein. Wagner zeigte sich von der Stadt zunächst wenig beeindruckt: „Mit der höchsten Spannung meiner Ankunft in dem ersehnten Paris zugewandt, bedauerte ich zunächst, von dieser Stadt nicht den großartigen Eindruck wiederzugewinnen, den mir zuvor London verschafft hatte. Alles schien mir enger, eingedrückter, und namentlich von den berühmten Boulevards hatte ich mir kolossalere Vorstellungen gemacht. Unerhört war mein Ärger, in einer gräßlich engen Gasse, der rue de la Jussienne [gleichnamige Strasse existiert noch, etwa 300 Meter nördlich von Les Halles], von unsrer riesigen Diligence herab zum ersten Male den Pariser Boden betreten zu müssen.“ (ML).
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Eugène Delacroix:
Die Freiheit führt das Volk (1830) |
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Rue de la Tonnellerie,
Wagners erster Wohnort in Paris (1860) |
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Rue de la Tonnellerie und Les Halles |
Udo Bermbach beschreibt das Paris zu Wagners Zeit, von Walter Benjamin als die „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet, als „kulturelle Metropole des alten Kontinents“ und führt aus: „Paris war eine Stadt im Aufbruch, nach der Juli-Revolution von 1830 die Stadt des ,,juste milieu“, des aufstrebenden Finanzbürgertums und einer dekadenten aristokratischen Jugend, der „jeunesse doree“. Aber es war auch eine politisch brodelnde Stadt, in der Reichtum und Armut nahe beieinanderlagen, in der die sozialen Gärungen der späten zwanziger Jahre, die Revolution von 1830 und nachfolgende Unruhen und Aufstände in Frankreich einflussreiche utopisch-sozialistische Theoretiker wie Henri de Saint-Simon (1760-1825) oder Pierre Joseph Proudhon (1809-1865) hervorbrachten, in der es eine linke, radikaldemokratische deutsche Emigrantenszene gab, zu der Heinrich Heine (1797-1856), Ludwig Börne (1786-1837) oder auch Karl Marx (1818-1883) zählten.“ Ein Symbolbild dieser Szene war das 1830 entstandene Gemälde „La Liberté guidant le peuple“ („Die Freiheit führt das Volk“) des französischen Malers Eugène Delacroix.
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Salle Le Peletier, die Pariser Oper zu Wagners Zeit
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Das Musikleben der Stadt wurde im 19. Jahrhundert durch die Oper dominiert. Die Theaterlandschaft war vielfältig, aber vom Staat streng reglementiert – was das Repertoire, die Größe des Ensembles, die Länge der Aufführungen usw. betraf. Das erste Haus am Platz war die Opéra (bis zum Brand 1873 in der Salle de la rue Le Peletier). Hier schlug mit der Uraufführung von Auberts „La Muette de Portici“ 1828 die Geburtsstunde der Grand Opéra; ihr erfolgreichster Schöpfer mit Werken wie „Robert le Diable“ und später „Le Prophète“ der Berliner Komponist Giacomo Meyerbeer.
„Zugleich war Paris eine moderne Kapitale, die den Glanz liebte, die in der Grand Opéra sich selbst allabendlich spektakulär inszenierte und die im festlichen Gestus einer ästhetisierten und sich selbst zelebrierenden Zivilisation das durch die Industrialisierung auch in Frankreich verursachte Elend zu überdecken suchte. Das Zusammenspiel von Politik, gesellschaftlichem Wandel und sich prächtig entfaltender Kultur verlieh dieser Stadt jene überragende Bedeutung in Europa, die jeden Komponisten, der europäischen Rang beanspruchen wollte, zwang, hier seinen Erfolg zu suchen. Weshalb selbst die bedeutendsten italienischen Komponisten wie Gioacchino Rossini (1792-1868), Gaetano Donizetti (1797- 1848), Vincenzo Bellini (1801-1835) und Giuseppe Verdi (1813-1901) Opern für Paris schrieben, um hier ihre internationale – was damals hieß: europäische – Anerkennung zu finden.“ (UB)
Grand Opèra
Wagner verachtete einerseits den Pomp der Grand opéra, andererseits biederte er sich an und hoffte auf wirtschaftlichen und künstlerischen Erfolg. Ganz konnte er sich der Bewunderung für die aufwändige Bühne, auf die er seinen „Rienzi“ ausgerichtet hatte, nicht erwehren: „Alle Vornehmen und Reichen, die sich in der ungeheuren Weltstadt der ausgesuchtesten Vergnügungen und Zerstreuungen wegen aufhalten, versammeln sich, von Langeweile und Genusssucht getrieben, in den üppigen Räumen dieses Theaters, um das höchste Maß von Unterhaltung sich vorführen zu lassen. Die erstaunlichste Pracht an Bühnendekorationen und Theaterkostümen entwickelt sich da […] vor dem schwelgenden Auge, das wiederum mit gierigem Blicke dem kokettesten Tanze des üppigsten Ballettkorps der Welt sich zuwendet; ein Orchester von der Stärke und Vorzüglichkeit, wie es sich nirgends wieder findet, begleitet […] die glänzenden Aufzüge ungeheurer Massen von Choristen und Figuranten, zwischen denen endlich die kostspieligsten Sänger […] auftreten […].“ (Richard Wagner über die Pariser Grand opéra in: „Ein Theater in Zürich“, 1851) Wagner setzte seine Hoffnungen schließlich auch auf das kleinere Théâtre de la Renaissance, das 1838 unter der Schirmherrschaft von Victor Hugo und Alexandre Dumas dem Älteren eröffnet worden war. Hier hoffte er – wiederum vergeblich – das „Liebesverbot“ unterzubringen.
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Gioacchino Rossini (1792-1868) |
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Gaetano Donizetti (1797-1848) |
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Vincenzo Bellini (1801-1835) |
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Giuseppe Verdi (1813-1901) |
In den 1830er Jahren war in Paris neben der etablierten Oper aber auch eine vielfältige Salon- Szene entstanden. Mitglieder der Königsfamilie, die Adelsfamilien im Faubourg Saint- Germain und die neuen Reichen aus dem Bürgertum öffneten ihre Häuser an einem festen Wochentag einem meist festen Kreis von Gästen; oft waren auch Musiker geladen. Hier präsentierten sich junge oder von auswärts gekommene Künstler und fanden mit Glück Protektion. Virtuosen wie Thalberg und Kalkbrenner nutzten die Chance, viele von ihnen konzertierten auch in den Sälen der Klavierbaufirmen wie Érard und Pleyel. Im Salle Pleyel, ab 1839 in der Rue Rochechouart 22 gelegen, traten unter anderen Frédéric Chopin und Franz Liszt auf. 1828 gründete sich die Société des concerts du Conservatoire , ihre Konzerte waren das wichtigste Forum symphonischer Musik im 19. Jahrhundert. Wagner selbst konnte auch in diesen Kreisen nicht landen.
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Heinrich Heine |
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Les deux grenadiers
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„Wagners Hoffnungen auf seinen großen Durchbruch zerstoben indessen schnell. Er war unbekannt und, wie er nur allzu bald bemerkte, lediglich einer unter vielen Emigranten. Doch konnte er mit dem ihm eigenen Witz, mit seinem Charme und seiner literarischen wie musikalischen Bildung einige Freunde um sich versammeln. Aber sie alle – einschließlich Heinrich Heines, den er damals kennenlernte und verehrte, dessen Gedicht „Les deux grenadiers“ er vertonte und aus dessen „Memoiren des Herrn von Schnabelewopski“ (1834) er schon um 1837/38 die Anregung zu seinem „Fliegenden Holländer“ genommen hatte, über den er positiv schrieb und den er später dann aus seinen Erinnerungen verdrängte – waren selbst arm und bedürftig, hatten selbst kaum ihr wirtschaftliches Auskommen. Trotz einer freundlichen Empfehlung des die Pariser Opernszene beherrschenden Meyerbeer gelang es Wagner nicht, in die Zirkel derer, die mitmischten, aufgenommen zu werden.“ (UB)
Für Wagner begannen vier Jahre materieller Not und herber Enttäuschung. Den dürftigen Lebensunterhalt verdiente er sich durch musikalische Gelegenheitsarbeiten, als Journalist für die „Gazette musicale“ und als Korrespondent der „Dresdner Abendzeitung“ sowie als Verfasser von Novellen. „Journalistische Gelegenheitsarbeiten und Nebenbei-Kompositionen sowie Klavierbearbeitungen von aktuellen Opern waren nicht nur ungeliebte, sondern geradezu verhasste Tätigkeiten, zumal sie trotz aller Anstrengungen den täglichen Geldbedarf nicht decken konnten.
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Pierre Joseph Proudhon |
Die vier Jahre, die Wagner in Paris zubrachte, waren denn auch die Jahre seines tiefsten Elends, des größten Geldmangels, der schlimmsten persönlichen Erniedrigung und des geringsten Erfolgs, es waren Jahre, die Wagners Abneigung gegen Paris und alles Französische begründeten. Mehr und mehr öffnete er sich unter dem Druck des täglichen Überlebenskampfes den in Paris umlaufenden radikalen, sozialistischen und anarchistischen Gedanken und Theorien. Eine wichtige Lektion war ihm dafür die Schrift „Qu'est-ce que la Propriete?“ („Was ist Eigentum?“ 1840) von Pierre Joseph Proudhon, einem Sozialisten und Anarchisten ganz eigener Prägung, der lehrte, dass nur Arbeit die Grundlage aller Existenz sein dürfe, eine nicht gerechte Entlohnung deshalb Ausbeutung sei und abgeschafft werden müsse. Ziel sollte es nach Proudhon sein, dass „keine Regierung des Menschen durch den Menschen mehr, vermittels der Anhäufung von Gewalt! Keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr, vermittels der Anhäufung der Kapitalien“ bestehe.
Die Wagners wohnten zunächst in einem billigen Hotel garni in der Nähe der Markthallen, dem später von Émile Zola im gleichnamigen Roman verewigten „Bauch von Paris“, in der Rue de la Tonnellerie 3. Am 15. April 1840 zog Wagner in die 25, Rue du Helder, wo er am 19. November die „Rienzi“-Partitur abschloss. Da Wagner die Miete bald nicht mehr aufbringen konnte, mietete er am 29. April 1841 eine billigere Wohnung „auf dem Lande”. Sie lag in Meudon. In dem kleinen Häuschen wandte Wagner sich dem „Fliegenden Holländer“ zu: Vom 18. bis 28. Mai 1841 schrieb er die Urfassung des Textbuches nieder und brachte vom 11. Juli bis 22. August, also in einem Schaffensrausch von knapp sieben Wochen, die gesamte Komposition zu Papier. Am 18. Oktober 1841 war die Partitur des dreiaktigen Werkes beendet.
Am 30. Oktober kehrte Wagner nach Paris zurück, quartierte sich im Hinterhaus der 14, Rue Jacob ein – später wohnte dort auch Joseph Proudon, der Autor von „Qu'est-ce que la propriété“ – und komponierte die Ouvertüre zum „Holländer“. Die Partitur, und damit die ganze Oper, war am 19. November 1841 fertig. Doch die Hoffnung, den erfolgreichen Durchbruch als Komponist in Paris vielleicht noch erzwingen zu können, gab er bald auf.
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Wagners Wohnhaus in der Rue Jacob 14, nahe Saint-Germain des Près |
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Gedenktafel am Haus Rue Jacob 14 |
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Meudon. Das Haus, in dem Wagner 1841 den "Fliegenden Holländer" komponierte |
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Der fliegende Holländer. Schluss der Orchesterskizze. Meudon, 22. August 1841 |
Tief verbittert vom dauernden Misserfolg verließ er mit Minna schließlich am 7. April 1842 Frankreich und ging zurück nach Deutschland, zunächst nach Dresden, denn dort gab es mittlerweile begründete Aussichten auf Aufführungen des „Rienzi“ und gleich darauf nach Berlin, wo eine Uraufführung des „Fliegenden Holländers“ in Aussicht stand.
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