Zürich
Wagner verbrachte insgesamt fast neun Jahre in der Schweiz, großteils in Zürich. Dass er Zürich als Ort des Exils gewählt hatte war kein Zufall. Neben Paris hatte Zürich sich nach den Aufständen von 1848 und 1849 als Anziehungspunkt für politisch-radikale Emigranten aus Deutschland etabliert. Die meisten hatten die Schweiz jedoch nach kurzer Zeit wieder verlassen, die Flüchtlinge kehrten nach Deutschland zurück oder die Schweiz war nur eine Zwischenstation auf der Weiterreise in andere Länder wie den USA. Anfang 1850 lebten bereits weniger als 100 deutschen Emigranten in Zürich, die meisten waren beschäftigungslos und ohne Verdienstmöglichkeit. Wagner war einer dieser gestrandeten Revolutionsflüchtlinge, die, von den Bürgern Zürichs weitgehend ignoriert, eine eigene kleine Kolonie bildeten und nur untereinander verkehrten. Die Situation änderte sich erst, als nach der Gründung des Polytechnikums 1855 in Zürich eine Reihe von prominenten Gelehrten aus Deutschland in Schweiz übersiedelten.
Zu Wagners Freundeskreis gehörten der Schriftsteller Georg Herwegh (1817-1875, Schöpfer der Arbeiterhymne „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“) und seine Frau Emma, Julius Fröbel (1805-1893, Mitglied der Frankfurter Paulskirche), der Schweizer Autor Gottfried Keller (1819-1890) und ab 1853 hielt sich auch Gottfried Semper in Zürich auf. Wichtig wurde für Wagner die Freundschaft mit dem Hamburger Journalisten François Wille (1811-1896) und seiner Frau, der Schriftstellerin Eliza Wille (1809-1893), die Wagner unterstützten und auf ihrem Gut Mariafeld bei Zürich einen literarischen Salon führten, in dem auch Wagner und seine Freunde häufig zu Gast waren. Hier las er 1852 erstmals im Freundeskreis aus der Dichtung des „Ring des Nibelungen“ vor. Diskutiert wurde in diesem Kreis ab 1854 auch die Philosophie Arthur Schopenhauers (1788-1860), dessen philosophisches Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ Wagners Denken nachhaltig beeinflusste. An Franz Liszt, ebenfalls häufiger Gast in Mariafeld, schrieb er im Dezember 1854: „Sein Hauptgedanke, die endliche Verneinung des Willens zum Leben, ist von furchtbarem Ernste, aber einzig erlösend“. Jahre später fand Wagner 1864 auf der Flucht aus Wien im Seitengebäude des Landsitzes für einen Monat Unterschlupf. (General Wille-Strasse 165 in Feldmeilen bei Meilen am Zürichsee, heute Privatbesitz).
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Zürich um 1850 |
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Gut Mariafeld |
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Steinwiesstr. 3 |
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Haus "Zur Akazie" |
Als erstes Quartier nach seiner Ankunft bezog Wagner als Gast seines Freundes Alexander Müller eine Wohnung im Rennweg 55, dritter Stock. Das Haus ist umgebaut und mit dem Nachbarhaus zusammengefasst, lässt Wagners Domizil aber noch erahnen. Hier entstand Ende Juli die erste der „Zürcher Kunstschriften“: „Die Kunst und die Revolution“ Ende Juli 1849. Nach Eintreffen seiner Frau Minna in Zürich Anfang September 1849, mietete Wagner eine nur wenige Schritte von dort entfernte Zwei-Zimmer-Wohnung als provisorische Unterkunft im vierten Stock des Hauses „Zur Akazie”, Oetenbachgasse 7.
„Am 17. September zog er mit Frau, deren Tochter, Hund und Papagei ins Erdgeschoß des Hauses Steinwiesstraße 3, das zu den so genannten hinteren Escher-Häusern im Stadtteil Hottingen gehört.“ Hier entstanden „Unter dem härtesten Druck der Nahrungssorgen und in stets sieglosem Kampf gegen die Kälte eines sonnenlosen Parterrestübchens“ (ML) im Spätherbst 1849 die grundlegende Schrift „Das Kunstwerk der Zukunft“ in der erstmals von einem „künstlerischen Gesammtwerk“ die Rede ist, das die „Totaliät der Natur“ spiegelt und „alle Gattungen der Kunst zu umfassen hat“.
Jessie-Laussot-Affäre in Bordeaux
Von Februar bis Juli 1850 hielt Wagner sich erneut in Frankreich auf, um in Paris ein weiteres Mal den Durchbruch zu versuchen. Seine Pläne scheiterten, stattdessen weiß er in „Mein Leben“ von einer zunächst hoffnungsvollen und schließlich gescheiterten Affäre mit einer jungen und unglücklich (mit einem „junge[n] schöne[n] Mann“ (ML)) verheirateten Verehrerin namens Jessie Laussot zu berichten. Demnach folgte Wagner einer Einladung der jungen Frau, die er aus Dresden bereits kannte, nach Bordeaux, blieb drei Wochen und vereinbarte mit ihr vor seiner Abreise nach Paris eine baldige gemeinsame Flucht nach „Griechenland oder Klein-Asien“. Als der Plan aufflog, drohte ihr Ehemann Wagner umzubringen, woraufhin Wagner „beschloß, sofort nach Bordeaux zu reisen, um die Sache mit meinem Gegner bestimmt in Ordnung zu bringen. [...] Über Lyon reiste ich durch die Auvergne in der Diligence während voller dreier Tage und zweier Nächte bis Bordeaux, welches ich, es war in der Mitte des Mai, von einer Höhe herab im allerersten Tagesgrauen durch eine dort ausgebrochene Feuersbrunst beleuchtet, endlich vor mir erblickte.“ Nach einem dramatischen Beginn endete die Romanze unspektakulär: „Ich stieg im Gasthof der »Quatre sœurs« [Hôtel des 4 soeurs: 6, cours du XXX Juillet] ab, schrieb sofort ein Billett an Herrn Laussot und meldete ihm, daß ich den Tag über das Hotel nicht verlassen würde, um ihn zu erwarten. Es war des Morgens um 9 Uhr, als ich ihm diese Zeilen zusendete; ich wartete aber vergebens auf ihren Erfolg, bis ich endlich am späten Nachmittag eine Zitation vom Polizeibüro erhielt, wo ich unmittelbar zu erscheinen hatte. Dort frug man mich zunächst, ob mein Paß in Richtigkeit sei; ich bekannte die Schwierigkeit, in der ich mich deshalb befände, und daß ich um einer dringenden Familienangelegenheit willen mich in dieselbe begeben hätte. Hierauf ward mir eröffnet, daß gerade diese Familienangelegenheit, die mich hierhergeführt haben dürfte, der Grund wäre, weshalb man mir den ferneren Aufenthalt in Bordeaux versagen müßte. Auf meine Nachfrage leugnete man nicht, daß dieses Verfahren gegen mich auf ausdrücklichen Wunsch der beteiligten Familie eingeleitet sei. Diese sonderbare Eröffnung gab mir sofort meine gute und freie Laune zurück; der Polizeikommissar, welchem ich vorstellte, daß man mir nach der beschwerlichen Reise wohl etwa zwei Tage zur Ausruhung vor der Rückreise gönnen werde, gestand mir dies ganz gemütlich zu, da er mir mitteilen konnte, daß ich die Familie, welche heute um Mittag Bordeaux verlassen habe, doch nicht antreffen würde. Wirklich bediente ich mich dieser zweier Tage zu meiner Erholung, setzte aber nun einen längeren Brief an Jessie auf, in welchem ich ihr das Vorgefallene sehr genau mitteilte und auch nicht verschwieg, daß ich das Benehmen ihres Mannes, welcher die Ehre seiner Frau durch eine Denunziation an die Polizei preisgegeben habe, für so nichtswürdig halte, daß ich allerdings von jetzt an in keine Art Verkehr mit ihr wieder treten können würde, ehe sie sich aus diesem schmachvollen Verhältnisse nicht gelöst hätte. Es galt nun, diesen Brief sicher seiner Bestimmung zukommen zu lassen; die Angaben des Polizeibeamten waren nicht genügend, um mich über den Vorfall in der Familie Laussot, ob sie nur für einen Tag oder für längere Zeit ihr Haus verlassen, aufzuklären. Ich entschloß mich einfach, dieses Haus aufzusuchen [Adresse laut Gregor- Dellin: Cours du jardin public No. 38, die Straße entlang der Süd-Ost-Seite des Jardin Public ist heute umbenannt in Cours de Verdun]; dort zog ich an der Klingel, die Türe sprang auf; ohne jemand anzutreffen, schritt ich in die offene erste Etage, ging von Zimmer zu Zimmer bis zu der Wohnstube Jessies, fand dort ihr Arbeitskörbchen und legte dahinein den Brief; darauf ging ich ruhig denselben Weg zurück, ohne auf irgend jemand zu stoßen. Da ich keinerlei Lebenszeichen erhielt, trat ich mit dem mir anberaumten Termin meine Zurückreise auf dem gleichen Wege, welchen ich gekommen, an.“
Zurück in Zürich
Wagner, der die Trennung von seiner Frau Minna bereits eingeleitet hatte und ihr in Briefen noch kurz zuvor von einem „unversöhnbaren Widerspruch“ schrieb, versprach ihr nun brieflich „ein neues Leben“ und kehrte zu ihr nach Zürich zurück. „Seine Frau hatte unterdessen im Stadtteil Enge, damals Sternengasse 22 (heute Sternenstraße), direkt am Seeufer eine neue Wohnung angernietet – im Haus „Zum Abendstern“, das von Wagners Zürcher Freunden scherzhaft in „Villa Rienzi“ umgetauft wurde. Von dieser einstigen Idylle, in der sich Wagner mehr als ein Jahr aufhielt, ist leider nichts mehr übrig geblieben. Heute steht hier ein moderner Zweckbau.“ (Von Soden) Im Haus „Zum Abendstern“ entstanden Wagners theoretisches Hauptwerk „Oper und Drama“, Prosaentwurf und Versdichtung zu „Der junge Siegfried“, die aufschlussreiche Programmschrift „Eine Mitteilung an meine Freunde“, eine Reihe kleinerer theoretischer Arbeiten, darunter „Ein Theater in Zürich“, und das unter einem Pseudonym in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ erstveröffentlichte antisemitische Pamphlet „Das Judenthum in der Musik“.
Im Juli 1851 erhielt Wagner erstmals Besuch von seinem Freund, dem Dresdner Orchestermusiker Theodor Uhlig, der für ihn den Klavierauszug des "Lohengrin" erstellt hatte. Wagner verdankte Uhlig entscheidende Anregungen für seine "Judenthums"-Schrift, zudem korrespondierte Wagner mit Uhlig ausführlich über die Arbeit am "Ring des Nibelungen". Mit Uhlig, der zu dieser Zeit bereits an Tuberkulose erkrankt war, unternahm Wagner zwei lange Gebirgswanderungen: zuerst nach St. Gallen, dann in die Innerschweiz auf den Spuren Wilhelm Tells. Auf Empfehlung Uhligs ging Wagner anschließend zur Kur in die Wasserheilanstalt Albisbrunn in Hausen, wo er vom 15. September bis 23. November blieb. Uhlig konnte jedoch nicht mehr geholfen werden, er starb am 3. Januar 1853 im Alter von nur 31 Jahren in Dresden.
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Zeltweg 11. Die beiden Fenster links vom Eingang entsprechen dem damaligen Wohn- und Schlafzimmer Wagners |
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Das Aktientheater, heute Opernhaus, vor dem Brand (Franz Hegi 1839) |
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Heutige Ansicht des Zeltweg 13 |
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Villa Wesendonck und (rechts im Bild) das "Asyl" |
„Mitte September 1851 galt wieder eine neue Adresse. Die Wagners bezogen für mehr als anderthalb Jahre eine bescheidene Parterrewohnung in den vorderen Escher-Häusern, Zeltweg 11. Im Frühjahr des Folgejahres wurde das Domizil vorübergehend in den Stadtteil Fluntern verlegt: Vom 12. Mai bis 7. Juli quartierten sich die Wagners in der Pension „Rinderknecht“ ein. Die beiden Gebäudeteile der Pension „Rinderknecht“ sind den Häusern Hochstraße 56 und 58 gewichen.
Im Februar 1853 las Wagner im großen Saal des Nobelhotels Baur au Lac an vier Abenden aus der kurz zuvor abgeschlossenen Dichtung „Der Ring des Nibelungen“ mit großem Erfolg vor. Im Mai des gleichen Jahres fand zu seinem vierzigsten Geburtstag eine Musikwoche im Züricher Aktientheater unter seiner Leitung statt. An drei Abenden wurden mit 72 Musikern und 110 Sängerinnen und Sängern Auszügen aus „Lohengrin“, „Tannhäuser“, dem „Fliegenden Holländer“ und „Rienzi“ gespielt – ein großer Triumph für Wagner, den die Presse überschwänglich lobte (das Aktientheater, heute Opernhaus, brannte in der Neujahrsnacht 1889/90 völlig aus, ein Neubau wurde am gleichen Ort 1891 mit einer Aufführung von Wagners „Lohengrin“ eröffnet. Sechseläutenplatz 1). Pläne, Zürich oder sogar den kleinen Kurort Brunnen am Vierwaldstätter See, den Wagner mehrmals besuchte, als Festspielort in der Schweiz zu wählen, gab er jedoch wieder auf. Auf Anregung Wagners arbeitete ab 1850 auch Hans von Bülow am Aktientheater als Kapellmeister.
Mitte April 1853 wechselten die Wagners vom Zeltweg 11 in eine geräumige und hellere Wohnung im zweiten Stock des benachbarten Hauses Zeltweg 13, wo sie vier Jahre blieben. Hier entstanden große Teile der Komposition des „Ring des Nibelungen“, so „Das Rheingold“ und „Die Walküre“. Über die Komposition des „Siegfried“ ab September 1856 berichtete Wagner in „Mein Leben“: „unserem Hause gegenüber hatte sich neuerdings ein Blechschmied einquartiert und betäubte meine Ohren fast den ganzen Tag über mit seinem weitschallenden Gehämmer. [...] Gerade mein Zorn über den Blechschmied gab mir jedoch in einem aufgeregten Augenblicke das Motiv zu Siegfrieds Wutausbruch gegen den »Stümperschmied« Mime ein.“
Unterbrochen wurde der Aufenthalt von weiteren Gebirgswanderungen, von Reisen zum Lago Maggiore (Juli/August 1852), nach Genua und La Specia Italien (August/September 1853). Für eine längere Zeit verließ Wagner die Schweiz erst 1855, als er eine Saison vom Februar bis Juni in London die renommierten Abonnement-Konzerte der Philharmonic Society dirigierte. Wagners Ansehen im englischen Musikleben nahm jedoch schweren Schaden, als bald nach seiner Ankunft in London der jüdische Musikkritiker der Times John James Davison aufdeckte, dass Wagner der Verfasser des unter dem Pseudonym K. Freigedank veröffentlichten Schrift "Das Judenthum in der Musik" war. und zu Londoner Konzerten (1855).
Während der Zeit in Zürich war Wagner ungebrochen produktiv. Ein eigenes geregeltes Einkommen hatte er jedoch nicht. Finanziell blieb er auf die Hilfe von Freunden und Gönnern aus Deutschland angewiesen. Franz Liszt half regelmäßig mit Geld, und von Julie Ritter, einer Verehrerin und Freundin der Mutter von Jessie Laussot, erhielt er eine ansehnliche Jahresrente. Im Gegenzug nahm er ihren Sohn Karl Ritter bei sich auf, der zeitweise wie ein Adoptivsohn behandelt wurde. Im August 1850 war Ritter zur Uraufführung des "Lohengrin" nach Weimar gefahren, um anschließend Wagner detailliert zu berichten. Auf Vermittlungen Wagners sollte Ritter Kapellmeister am Zürcher Aktientheater werden, da er sich jedoch als ungeeignet erwies, übernahm Hans von Bülow die Stelle.
Zu wichtigen Unterstützern wurden ab 1853 auch der wohlhabende deutsche Kaufmann Otto Wesendonck (1815-1896) und seine junge kunstsinnige Frau Mathilde (1828-1902), die 1851 von Düsseldorf nach Zürich gekommen waren und in einer Suite des Hotels Baur au Lac wohnten. Ab Frühjahr 1855 erbaute Otto Wesendonck auf dem „grünen Hügel“ in der Vorstadt Enge eine herrschaftliche Villa, in der er 1857 mit seiner Frau und den bis dahin drei gemeinsamen Kindern einzog. 1872 verkaufte er seine Villa wieder, die heute als Haupthaus des Museums Rietberg dient (Museum für Kunst aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien, Gablerstrasse 15). Im benachbarten kleinen Fachwerklandhaus fanden Richard und Minna Wagner zusammen mit der Tochter Natalie und der Magd Therese ab April 1857 ihr „Asyl“. Wesendonck ließ das Haus durch seinen Architekten herrichten und stellte es Wagner für eine geringe Jahresrente zur Verfügung. Am 28. April 1857 zogen Wagner und seine Frau ein. Das Parterre war Minnas Reich, im oberen Stockwerk richtete sich Wagner sich sein Arbeitszimmer ein, und unter dem Dach befand sich ein Gästezimmer. (heute „Villa Schönberg“, ab 1882 umgebaut und erweitert, ebenfalls Teil des Museums Rietberg). Unter den zahlreichen Besuchern waren auch Hans von Bülow und seine Frau Cosima, die sich im Herbst 1857 auf Hochzeitsreise in Zürich befanden.
Wagner bezeichnete Mathilde Wesendonck in einem Brief von 1863 als seine „erste und einzige Liebe“. Sie kannten sich bereits seit Anfang 1852. Zwei Jahre darauf versah er den Kompositionsentwurf der „Walküre“, den sie für ihn ins Reine schrieb, mit schwärmerischen Chiffren („I. l. d. gr.!!“ [„Ich liebe dich grenzenlos!!“]). Aber erst jetzt schien sich die Beziehung zwischen Wagner und seiner Muse zu intensivieren. Im Herbst 1857 unterbrach er die Arbeit am „Siegfried“ und wand sich einem neuen Thema zu: „Tristan und Isolde“, gleichzeitig vertonte er einige Gedichte von Mathilde Wesendonck. Im April 1858 kam es zum Eklat, als Minna Wagner einen intimen, mit „Morgenbeichte“ überschriebenen Brief ihres Mannes an Mathilde abfing. Am 17. August verließ Wagner das „Asyl“ und brach nach Venedig auf. Das Haus Wesendonck stand ihm ein halbes Jahr später für Besuche weiterhin offen, mit Minna traf er erst im September 1859 in Paris wieder zusammen.
Tribschen
Nach seiner Ausweisung aus München im Dezember 1865 zog Wagner zurück in die Schweiz. Die ersten Monate seines erneuten Exils verbrachte er in Genf, wo er das Landhaus „Les Artichauts“ in der Nähe des Jardin des Cropettes mietete (nicht erhalten; in der Nähe ist heute eine Straße nach Wagner benannt).
Anfang März kam Cosima von Bülow zu Wagner und machte sich mit ihm gemeinsam auf die Suche nach einem neuen Domizil. Ende März 1866 fanden sie auf einer kleinen Landzunge bei Luzern das leer stehende Landhaus Tribschen während einer Fahrt über den Vierwaldstätter See. Der Besitzer Oberstleutnant Walter Ludwig am Rhyn vermietet das Haus mit dem es umgebenden Park und einem zugehörigen kleineren Bauernhaus an Wagner, die
Jahresmiete wurde von Ludwig II. aus München überwiesen. Am 15. April 1866 zog Wagner in das Tribschener Haus ein. „Wohin ich mich aus meinem Haus wende, bin ich von einer wahren Wunderwelt umgeben: ich kenne keinen schöneren Ort auf dieser Welt, keinen heimischeren als diesen“, schrieb Wagner an Ludwig II. Wagner blieb hier sechs Jahre, bis zum April 1872 wohnen.
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Haus in Triebschen |
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Heutige Ansicht des Wagner-Museums in Tribschen |
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Heutige Ansicht der Kirche St. Matthäus von der Hertensteinstrasse aus. |
1931 erwarb die Stadt Luzern das Landhaus mit dem 30.000 m2 umfassenden Park, um es der Öffentlichkeit zugängig zu machen. Zwei Jahre später wurde das Richard Wagner Museum Luzern gegründet. Eine Ausstellung zum Leben und Werk von Richard Wagner ist im Erdgeschoss des Hauses zu besichtigen. Verteilt auf fünf Räume kann man hier unter anderem eine Sammlung von historischen Fotografien und Gemälden betrachten, sowie einen wertvollen Bestand an originalen Handschriften bewundern. Die Partitur des Siegfried-Idylls zählt zu den bedeutendsten Exponaten der Ausstellung (Wagner hatte das Musikstück nach Motiven aus dem „Siegfried“ zu Cosimas Geburtstag am 25. Dezember 1870 im Treppenhaus von Tribschen uraufführen lassen). Zudem werden einige Kleidungsstücke Wagners und Mobiliar aus seinem Haushalt gezeigt, darunter der Erard- Flügel. Das Museum verfügt auch über eine umfangreiche Bibliothek (Richard W agner Museum Luzern, www.richard- wagner-museum.ch)
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Erstausgabe von Nietzsches "Geburt der Tragödie" auf dessen Entstehung Wagner großen Einfluss hatte. |
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Im Mai 1866 kam Cosima mit ihren drei Töchtern nach Tribschen, konnte zunächst aber nicht dauerhaft bei Wagner bleiben. Dessen Frau Minna war zwar im Januar 1866 verstorben, Cosima war aber noch mit Hans von Bülow verheiratet und nicht zuletzt mit Rücksicht auf König Ludwig II. blieb das Verhältnis lange geheim. Die ersten Jahre lebte Cosima in
Tribschen „vor der Welt verborgen“ (so in ihren Tagebüchern) in eigenen Räumen, häufig ohne die beiden Töchter aus ihrer Ehe mit von Bülow. Im Februar 1867 wurde Wagners und Cosimas zweite gemeinsame Tochter Eva in Tribschen geboren, doch erst im November 1868 zog Cosima endgültig bei Wagner ein. Nach der Geburt des Sohnes Siegfried im Juni 1869 willigte Hans von Bülow in eine Scheidung ein und Richard und Cosima heirateten im August 1870 in Luzerns evangelischer Kirche St. Matthäus. Diese war 1860/61 im neogotischen Stil auf einem vom Besitzer des Hotels „Schweizerhof“ neben dem Hotel zur V erfügung gestellten Grundstück errichtet worden (Hertensteinstrasse 30, Eingang am Schweizerhofquai). Die Trauzeugen waren die Schriftstellerin Malwida von Meysenbug (1816-1903) und Hans Richter (1843-1916), der spätere Dirigent der Bayreuther Uraufführung des „Ring“.
Das Haus in Tribschen wurde schnell zum Treffpunkt für Wagners großen Freundeskreis. Einer der ersten Besucher in Tribschen war Ludwig II.., der zu Wagners Geburtstag am 22. Mai 1866 verkleidet als Walther von Stolzing kam. Zu den Gästen zählten außerdem die alten Freund Franz Liszt (der Wagners Verbindung mit seiner Tochter Cosima lange nicht billigte) und Gottfried Semper, aber auch Judith Gautier (1845-1917) und ihr Mann Catulle Mendès (1841-1909). Ab 1969 war Friedrich Nietzsche häufig zu Gast, der zu dieser Zeit außerordentlicher Professor der klassischen Philologie an der Universität Basel war. Wagner und Nietzsche waren sich im Vorjahr in Leipzig das erste Mal begegnet – der Beginn einer „Sternenfreundschaft“, wie Nietzsche es in „Die fröhliche Wissenschaft“ formulierte. Nach Tribschen kam Nietzsche in den folgenden drei Jahren insgesamt 23 Mal, für Cosima erledigte er unterwegs Besorgungen. Wagner war von dem 31 Jahre jüngeren Verehrer angetan, 1872 resümierte er: „Genau genommen sind Sie, nach meiner Frau, der einzige Gewinn, den mir das Leben zugeführt.“ Der Musikwissenschaftler und Wagner-Biograf Martin Geck schrieb über die ungleichen Freunde: „Beide teilen Schopenhauers Verachtung des weltlichen Treibens; beide finden in ihrer Zeit keinen anderen Menschen gleich hohen Sinnes. Und jeder hofft, vom anderen in seiner besonderen Größe erkannt zu werden: nämlich in der Fähigkeit, philosophische, ethische, ästhetische, politische und psychologische Diskurse in ihrem Wesen zu erfassen und so zu bündeln, dass sich daraus die Kunst der Moderne konstruieren lässt – einer Moderne, die ihr produktives, kritisches und zerstörerisches Potenzial ohne Pardon auf den Tisch legt.“ Später löste sich die von Anfang an fragile und mit Erwartungen aufgeladene Freundschaft und schlug in teilweise scharfe Kritik um.
Wagner machte mit Freunden häufige Ausflüge entlang und per Dampfschiff auch über den Vierwaldstätter See und in die nahe gelegene Stadt. Zu seinen Lieblingsorten in Luzern gehörte das nach Entwürfen von Bertel Thorvaldsen gestaltete Löwendenkmal von 1819 (Denkmalstrasse 4). Sein Stammlokal war die „Bierhalle Dubeli“ in der Altstadt (das Gebäude ist erhalten und beherbergt heute ein China-Restaurant, Furrengasse 14). In der gleichen Straße wohnte die Familie seines Vermieters im Am-Rhyn-Haus in der Furrengasse 21, mit der Wagner in einem guten Verhältnis stand. Häufig besuchte er auch den Landschaftsmaler Jakob Josef Zelger (1812-1885), der im hinteren Teil des Gartens des Hotels „Schweizerhof“ sein Atelier hatte.
In Tribschen war Wagner erneut schriftstellerisch tätig, dazu gehörten neben einer Artikelserie in der „Süddeutschen Presse“ über „Deutsche Kunst und deutsche Politik“ (die auf Befehl König Ludwigs II. nach der 13. Folge wegen ihrer politischen Brisanz abgebrochen werden musste) auch kleinere Aufsätze „Über das Dirigieren“ (1869), „Beethoven“ (1870) und „Über die Bestimmung der Oper“ (1871). Nebenher arbeitete er für König Ludwig II. an seiner Autobiografie „Mein Leben“, die er Cosima diktierte, die dann eine Reinschrift anfertigte.
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Das Löwendenkmal in Luzern
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Vor allem aber war Wagner musikalisch tätig. In Tribschen konnte er die „Meistersinger von Nürnberg“ vollenden, die 1868 in München uraufgeführt wurden. Im März 1869 nahm er nach zwölfjähriger Unterbrechung seine Arbeiten am „Ring des Nibelungen“ wieder auf. Noch vor der Vollendung des „Siegfried“, den er zurückstellte, da er befürchtete Ludwig II. würde ihn ebenso wie bereits das „Rheingold“ (September 1869) und die „Walküre“ (Juni 1870) gegen seinen Willen in München uraufführen lassen, begann er mit der „Götterdämmerung“. Nicht zuletzt die Erfahrung der aus seiner Sicht misslungenen Münchener Uraufführungen der ersten Teile des „Rings“ mochten Wagner dazu veranlasst haben, sich erneut intensiv auf die Suche nach einem für sein eigenes Festspielhaus geeigneten Ort zu machen. 1871 wurde er fündig, 1872 zog die Familie nach Bayreuth. |