1842 – 1849 Durchbruch in Dresden – Revolution
Großer Durchbruch (1842-1847)
Am 12. April 1842, kehrte Wagner mit seiner Frau Minna nach Dresden zurück. Trotz der materiellen Not in Paris fiel ihm die Rückkehr schwer:
„Wir stiegen im Gasthof „Zur Stadt Gotha“ ab. Die Stadt, in welcher ich so bedeutungsvolle Kinder- und Knabenjahre verlebt, machte unter dem Eindrucke trüber, rauher Witterung einen kalten, toten Eindruck auf mich; wirklich schien mir alles, was an meine Jugend mich erinnern konnte, dort erstorben; ... die Eltern meiner Frau trafen wir in ärmlicher, enger Wohnung und kümmerlichen Verhältnissen und mußten uns sofort nach einer kleinen Wohnung für uns selbst umsehen, welche wir denn in der Töpfergasse, für sieben Taler monatlich, fanden“, schrieb Wagner in „Mein Leben“ und auch Minna zeigte sich in Briefen an Pariser Freunde enttäuscht: „alles widert mich an. Paris ist mir wie ein Himmel, und nur mit Tränen denke ich daran zurück“.
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Richard Wagner (1842) |
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Das Dresdner Hoftheater zur Zeit Wagners |
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Das Hoftheater von Gottfried Semper |
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Rienzi Szenenbild der Uraufführung (1842) |
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Wilhemine Schröder-Devrient |
Dafür stellten sich schnell die ersten beruflichen Erfolge ein, in Dresden begann endlich Wagners große Karriere. Er begann sofort mit den Vorbereitungen zur Uraufführung seines „Rienzi“ am – erst im Jahr zuvor eröffneten – Neuen Königlichen Hoftheater von Gottfried Semper (1869 abgebrannt). Die Rolle des Adriano übernahm die von ihm bewunderte Wilhelmine Schröder-Devrient, die zu einer Freundin und Förderin Wagners wurde. Die Uraufführung fand am 20. Oktober 1842 statt, dauerte sechs Stunden und wurde der größte Premierenerfolg seines Lebens.
Mit größtem Stolz schrieb Wagner am folgenden Tag an Pariser Freunde: „Ich muß es Euch sagen, — daß noch nie, wie mir Alle versichern, in Dresden zum ersten Male eine Oper mit solchem Enthusiasmus aufgenommen worden ist, als mein Rienzi. Es war eine Aufregung, eine Revolution durch die ganze Stadt; ich bin viermal tumultuarisch gerufen. Man versicherte mir, daß Meyerbeers Succes bei seiner hiesigen Aufführung der Hugenotten nicht in Vergleich zu stellen sei mit dem meines Rienzi.“ Und in einer zeitgenössischen Kritik hieß es, die Leitung der Dresdner Oper habe sich „das große Verdienst erworben, das erste Werk eines jungen ausgezeichneten musikalischen Talentes zur Darstellung zu bringen und ihm dadurch eine für den ersten Beginn so schwierige Laufbahn zu eröffnen“.
Nur ein knappes Vierteljahr später, am 2. Januar 1843, folgte die weniger spektakuläre Uraufführung des (in Berlin abgesagten) „Fliegenden Holländers“ und einen Monat später wurde Wagner zum Königlich Sächsischen Hofkapellmeister ernannt. Damit schien die wirtschaftliche Absicherung erreicht, zugleich sorgte sich Wagner, seine künstlerischen Freiheiten aufgeben zu müssen.
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"Elbflorenz" Dresden mit der Frauenkirche |
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Frauenkirche – Uraufführungsort von Das Liebesmahl der Apostel |
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In Dresden begann das aus Paris bekannte Spiel von rastlosen Umzügen erneut. Stand ein Erfolg in Aussicht, zogen Wagner und seine Frau in eine bessere Wohnung, nahm die Schuldenlast überhand (Richard Wagner eröffnet der Dresdner Hofopernintendanz 1848 seine Schulden im Gegenwert von mehr als fünf regulären Jahresgehältern), suchte man sich wieder ein billigeres Quartier. So bewohnten die Wagners im schnellen Wechsel innerhalb von sieben Jahren fünf Wohnungen. Bereits im Sommer 1842 war Wagner von der Töpfergasse in ein dürftiges Quartier in der Waisenhausstraße 5 gezogen. Am 22. Mai 1843 vollendete Wagner hier die „Tannhäuser“-Dichtung und setzte am 29. Juni den Schlusspunkt unter die Partitur seines Oratoriums „Das Liebesmahl der Apostel“, das er am 6. Juni 1843 mit 1200 Sängern und 100 Musikern in der Frauenkirche uraufführte. Mitte August 1843 wechselte Wagner wieder das Domizil. Er zog zunächst für einige Wochen in die Dresdner Neustadt, Marienstraße 9, und mietete am l. Oktober 1843 eine statusgemäße Wohnung unweit des Hoftheaters in der Ostra-Allee 6. Nachdem er sich in der neuen Behausung eingerichtet hatte, begann Wagner, sich eine umfangreiche, mit allen für seine weiteren Werke wesentlichen Quellen sowie germanistischer Fachliteratur gut bestückte Bibliothek aufzubauen. Sie überstand im Archiv des von seinem Schwager geleiteten Verlags Brockhaus die Zeiten und befindet sich heute in der Villa Wahnfried in Bayreuth.
In der Ostra-Allee entstand die Musik zweier Werke: Am 13. April 1845 wurde die Partitur des „Tannhäuser“ abgeschlossen, die Uraufführung im Hoftheater fand am 19. Oktober statt. Nach dem mäßigen Erfolg der Uraufführung änderte Wagner den Schluss, holte Venus und Elisabeth auf die Bühne zurück. Diese „Dresdner Fassung“ wurde 1847 erneut gespielt und brachte dem Werk den Durchbruch (ab 1857 nahm Wagner für eine Aufführung in Paris erneut Änderungen vor).
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Lohengrin-Haus in Graupa |
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Liebethaler Grund |
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Hans von Bülow |
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Lochmühle |
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Wagner-Denkmal in Pirna |
Den Sommer 1846 verbrachten Wagner und Minna in Graupa, damals Groß-Graupa und heute eingemeindet nach Pirna. Groß-Graupa war ein kleines Dorf mit idyllisch gelegenem Schloss. Er mietete sich in einem Bauernhaus, dem sogenannten Schäferschen Gut, eine Wohnung und arbeitete an der musikalischen Skizze des „Lohengrin“, weshalb das Haus später den Namen „Lohengrinhaus“ erhielt. Wagner unternahm zahlreiche Wanderungen und empfing Gäste, darunter Karl August Röckel und den erst 16-jährigen Hans von Bülow. Ausflüge in die Umgebung führten Wagner auch in den Liebethaler Grund, wo heute das weltweit größte Wagner-Denkmal (1911/12 von Richard Guhr) steht.
Zurück in Dresden beendete Wagner im Frühjahr 1847 die Orchestrierung des „Lohengrin“, die Partitur beschäftigte ihn noch bis zum April 1848. Zur gleichen Zeit mietete er eine billigere Wohnung im Ostflügel des Palais Marcolini, dem der alte katholische Friedhof gegenüber liegt , wohin auf Veranlassung Wagners 1844 der Sarg von Carl Maria von Weber aus London (18 Jahre nach dessen Tod ) überführt wurde. Wagner schrieb eine Trauersinfonie zur Beisetzung und hielt die Grabrede.
Die Jahre bis zur Revolution von 1848/49 waren in vielerlei Hinsicht die produktivsten in Wagners Leben. In dieser Zeit entwarf er das Konzept für den „Ring des Nibelungen“, sein opus magnum, hier entstanden „Tannhäuser“ und „Lohengrin“, aber auch die Vorüberlegungen zu all seinen späteren Musikdramen, mit Ausnahme des „Tristan“. In Dresden entwickelte er seine grundlegenden Gedanken zum Verhältnis von Politik, Gesellschaft und Ästhetik, seine Überlegungen zum „Gesamtkunstwerk“, die später in die sogenannten „Zürcher Kunstschriften“ einflossen, in „Die Kunst und die Revolution“ (1849), „Das Kunstwerk der Zukunft“ (1849) und „Oper und Drama“ (1850/51), jene Trias eines revolutionären ästhetischen Programms, mit dem Wagner nicht nur die Bilanz seines bisherigen Schaffens und Lebens zog, sondern auch die Perspektiven einer neuen, das Leben anleitenden Kunst – seiner eigenen – entwarf. Und in Dresden wurde er zu einem radikalen Revolutionär, der aus seinem Denken die praktischen Konsequenzen zog, der den Umsturz aller bestehenden Verhältnisse wollte und Gesellschaft wie Theater gleichermaßen von Grund auf zu verändern wünschte.
Vorbilder und Freunde in Dresden
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Ludwig Feuerbach |
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Gottfried Semper |
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Karl August Röckel |
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Gefangene im Zuchthaus Waldheim |
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Michail Bakunin |
Tief verehrte Wagner zu dieser Zeit den Philosophen Ludwig Feuerbach (1804-1872), dessen Religions- und Idealismuskritik bedeutenden Einfluss auf die Bewegung des Vormärz hatte. Wagner begeisterte sich zunehmend für dessen demokratisch und anthropologischmaterialistisch intendierten Humanismus, den er vor allem in Richtung auf eine Befreiung der Sinnlichkeit interpretierte.
Zu Wagners engen Freunden der Dresdner Jahre gehörten der Architekt Gottfried Semper (1803-1879), mit dem Wagner seine Vorstellungen von einer neuen demokratischen Theaterarchitektur vertiefte und Karl August Röckel (1814-1876), Musikdirektor in Dresden und revolutionärer Sozialist. Die Briefe, die Wagner mit dem nach den Maiaufständen 1849 im Zuchthaus Waldheim Inhaftierten austauschte, gehören zu den wichtigsten Quellen über Wagners musikdramatische Pläne, vor allem bezüglich des „Ring“. Mit Röckel diskutierte Wagner die Zukunft der Gesellschaft und des Theaters.
Durch Röckel lernte Wagner auch den russischen Anarchisten Michael Bakunin (1814- 1876) kennen, der, nach einem missglückten Aufstand in Prag, nun als Dr. Schwarz in Dresden lebte und für längere Zeit zu Wagners engerem Freundeskreis zählte. Von mächtiger Gestalt und mitreißender Rhetorik, ein an Hegel geschulter Denker, immer bereit zum Handeln und zu spontanen revolutionären Aktionen, den Künsten zugewandt, übte der international agierende Revolutionär einen Einfluss auf Wagner aus, dem sich dieser nicht zu entziehen vermochte. „Alles an ihm war kolossal, mit einer auf primitive Frische deutenden Wucht“, schrieb Wagner rückblickend in „Mein Leben“, und er war, wie er einräumen musste, „wie berauscht von diesem Manne“. Bakunins Freiheitspathos, seine Religions- und Staatskritik trafen bei ihm auf verwandte Ansichten.
Revolutionäres Scheitern (1848 – 1849)
Als im Februar 1848 in Paris die Revolution ausbrach sprang der Funke bald nach Deutschland über. Delegationen der großen Städte des Landes verlangten vom König die Aufhebung der Zensur, die Änderung des Wahlrechts, die Einführung rechtsstaatlicher Verfahren und ähnliches mehr. Überall entstanden politische Vereine, nach blutigen Kämpfen konstituierte sich im März ein deutsches Vorparlament, im Mai trat die Frankfurter Nationalversammlung zusammen.
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1848 Februarrevolution in Paris |
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1849 Maiaufstand in Dresden |
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Frankfurter Paulskirchenversammlung |
Es waren erregte politische Zeiten und Wagner genoss es, inmitten der Unruhen persönlich mitmachen zu können. „Ich selbst fand immer mehr Anregung, über die alle Welt beschäftigenden politischen und endlich sozialen Fragen mich ebenfalls und allmählich mit wachsendem Eifer vernehmen zu lassen“ (ML), gesteht er selbst im abwiegelnden Rückblick noch ein. Wagner forderte im „Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters für das Königreich Sachsen“ eine Theaterreform nach radikaldemokratischen Prinzipien und griff in weiteren Schriften und Reden die Adelsprivilegien an und rief zur Republik auf.
Entwurf zur Organisation eines deutschen National-Theaters für das Königreich Sachsen (1849)
Gleichzeitig begann er am „Nibelungen“-Thema zu arbeiten, in das er seine politischen Überlegungen einfließen ließ. In dichter zeitlicher Aufeinanderfolge entstanden der Aufsatz „Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“ (die endgültige Fassung schrieb Wagner 1849 in Zürich nieder), „Der Nibelungen-Mythus. Als Entwurf zu einem Drama“, eine Prosavorstudie zu dem monumentalen Projekt, und Entwurf sowie Versdichtung zu „Siegfrieds Tod“. Im gleichen Geiste verfasste Wagner zu Beginn des Jahres 1849 einen umfangreichen Dramenentwurf „Jesus von Nazareth“, in dem Jesus als anarchischer Sozialrevolutionär auftritt.
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Die Kreuzkirche in Dresden |
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Im April 1849 scheiterte die Frankfurter Nationalversammlung. Sachsens König Friedrich August II. weigerte sich, die „Paulskirchen-Verfassung“ anzunehmen und löste die sächsischen Kammern auf. Daraufhin brachen in Dresden am 3. Mai 1849 blutige Straßenkämpfe aus.
Wagner rief bereits im April in Röckels radikalen „Volksblättern“ mit einem Beitrag unter der Überschrift „Die Revolution“ zur vollständigen Zerstörung der bestehenden Ordnung auf und nahm auch praktisch an den Aufständen teil. In Wagners Garten des Palais Marcolini versammelten sich in den Tagen unmittelbar vor dem Aufstand in Dresden mehrfach Gleichgesinnte wie Röckel, Bakunin und Semper. Sie berieten über eine mögliche Volksbewaffnung und die Strategie der Erhebung. Wagner hatte Handgranaten beschafft, lagerte sie in seinem Garten und war einer der unermüdlichen Aktivisten. Am 3. Mai 1849 brachen die Unruhen aus, Barrikaden wurden gebaut, der König und die Regierung flohen elbaufwärts zur Feste Königstein. Für einige Tage herrschte die Revolution und mitten in ihr: Richard Wagner. Er bezog auf dem Turm der Dresdner Kreuzkirche seinen Posten, direkt bei den Scharfschützen, beobachtete die heranziehenden preußischen Truppen, gab seine Erkenntnisse an die Leitung des Aufstandes im Rathaus weiter.In Flammen ging während der Aufstände unter anderem das Theater am Zwinger auf, in dem Wagner noch Anfang April das von ihm begründete Palmsonntagskonzert mit Beethovens 9. Sinfonie dirigiert hatte. Wagner wurde später zu Unrecht der Brandstiftung verdächtigt.
Bereits nach sechs Tagen war die Revolution verloren. Nach einem Bericht von August Röckel gab es 30 Tote und 100 Verwundete bei den Regierungstruppen und auf Seiten des Volkes 196 Tote, und 115 Verwundete, darunter auch mehrere Frauen. Über 400 Beteiligte wurden gefangen gesetzt, unter ihnen auch kurzzeitig die berühmte Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient, die noch 1849 aus Sachsen ausgewiesen wurde.
Am 19. Mai 1849 erschien ein (auf den 16. Mai datierter) Steckbrief, mit dem Wagner wegen „wesentlicher Teilnahme an der aufrührerischen Bewegung“ gesucht wurde. Doch Wagner war zu diesem Zeitpunkt bereits Richtung Schweiz entkommen.
Flucht in die Schweiz
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Richard Wagner (1853) |
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Steckbrief Richard Wagner (1853) |
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Wagners Weg aus dem von königstreuen Truppen besetzten Dresden führte ihn zunächst über Freiberg und zusammen mit Bakunin und weiteren Mitstreitern anschließend nach Chemnitz. Dort wurden Bakunin und andere festgenommen. Bakunin wurde zuerst in Dresden, dann in der Festung Königstein inhaftiert. Nach seiner Auslieferung nach Österreich und anschließend Russland wurde er schließlich nach Sibirien verbracht, lange galt er als verschollen und erst 1861 gelang ihm die Flucht. Noch länger war Wagners Freund August Röckel in Haft, der ebenfalls zunächst in Königstein inhaftiert war. Er wurde zum Tode verurteilt, musste dann aber eine 13jährige Haftstrafe im Zuchthaus Waldheim absitzen und wurde erst 1862, als letzter „Maigefangener“ entlassen.
Wagner gelang die Flucht über Altenburg nach Weimar, wo er am 13. Mai 1849 Zuflucht bei Franz Liszt (1811-1886) fand. Liszt wirkte seit 1842 am Weimarer Hoftheater als Kapellmeister, 1848 hatte er das Amt des Hofkapellmeisters ü̈bernommen und war ganz nach Weimar gezogen. 1850 dirigierte er hier die Uraufführung des „Lohengrin“. Liszt riet Wagner zur Flucht nach Paris und schrieb bereits am Tag nach Wagners Ankunft ein Empfehlungsschreiben an seinen dortigen früheren Sekretär und Konzertbegleiter Gaëtano Belloni. Auch mit Geld half Liszt aus und organisierte die weitere Flucht nach Jena, wo Wagner einen falschen Pass erhalten sollte.
Einige Tage verbrachte Wagner mit Liszt in Weimar und Eisenach. Wagner mutete es „wunderlich genug” an, dass er - polizeilich verfolgt - „von hier aus den letzten Blick auf das Deutschland warf, das ich damals (1842) mit so warmer Heimatfreude betrat und nun, als Geächteter, landesflüchtig verlassen mußte.” („Eine Mitteilung an meine Freunde“). Über Liszts Vermittlung lernte er in Eisenach die Großherzogin Maria Pawlowna kennen, die eine Förderin seiner Werke wurde.
Am 19. Mai floh Wagner über Oberweimar und Mellingen weiter nach Magdala . Dort mietete er sich unter dem Namen „Prof. Werder“ bei J. Wernsdorf, einem eingeweihten Freund Liszts ein, wo auch Minna dazu traf. Zu Fuß ging Wagner weiter nach Jena, wo er bei Professor Wolff erneut auf Minna (laut Glasenapp auch auf Liszt) traf. Dort bekam er den abgelaufenen Pass eines Professor Dr. Widmann für die weitere Flucht zur Verfügung gestellt. Die weitere Route sollte auf Anraten der Weimarer und Jenaer Freunde über Bayern und die Schweiz nach Frankreich führen. Wagner trat die weitere Reise allein an, über Rudolstadt erreichte er Coburg.
„Ich reiste nun mit dem Postwagen ab, nachdem ich unter dem Abschied von meiner ganz verzweiflungsvollen Frau wahrhaft und schmerzlich gelitten hatte. Ohne weitere Anfechtungen gelangte ich, unter andrem auch an Rudolstadt, dem für mich nicht erinnerungslosen Orte vorbei [Wagner hatte sich dort zusammen mit Minna im Sommer ihres Kennenlernens 1834 auf Gastspielreise mit der Bethmann`schen Truppe befunden], an die Grenze Bayerns, von wo ich nun mit dem Postwagen ohne Unterbrechung meine Reise nach Lindau fortsetzte. Dort wurde mir am Tore mit den übrigen Passagieren der Paß abverlangt; unter der seltsamsten fieberischen Aufregung verbrachte ich die Nacht bis zur frühen Abfahrt des Bodensee-Dampfschiffes. Mir war besonders die schwäbische Sprache des Professors Widmann, auf dessen Paß ich reiste, in lebhafter Erinnerung geblieben; ich stellte mir vor, wie ich nun mit der bayerischen Polizei zu verkehren haben würde, wenn ich über die erwähnten Unregelmäßigkeiten des Passes mit ihr mich zu unterhalten haben sollte. Von fieberhafter Unruhe beherrscht, versuchte ich die ganze Nacht über mich im schwäbischen Dialekte zu üben, was aber zu meiner größten Erheiterung wiederum nicht gelingen wollte. Gespannt sah ich am Frühmorgen dem Augenblick entgegen, als der Gendarm zu mir in das Zimmer trat und, unwissend, wem die Pässe gehörten, drei derselben mir zur gefälligen Auswahl übergab. Mit lachendem Herzen ergriff ich den meinigen und entließ den zuvor so gefürchteten Mann in freundlichster Weise. Auf dem Dampfschiff angelangt, erkannte ich mit wahrhaftem Behagen, daß ich mit seiner Besteigung mich bereits auf schweizerischem Boden befände; ein wundervoller Frühlingsmorgen ließ mich auf dem weiten See in die vor mir sich ausbreitende Alpenlandschaft ausblicken; als ich in Rorschach das eidgenössische Land betrat, benutzte ich den ersten Augenblick zu wenigen Zeilen nach heimwärts, womit ich meine glückliche Ankunft in der Schweiz, somit die Befreiung aus jeder Gefahr meldete. Die Fahrt im Postwagen durch das freundliche St. Gallener Ländchen nach Zürich erheiterte mich ungemein: als ich am letzten Mai, abends gegen sechs Uhr, von Oberstraß hinab nach Zürich einfuhr und zum ersten Male in glänzender Sonnenbeleuchtung die den See begrenzenden Glarner Alpen glänzen sah, beschloß ich sofort, ohne dies deutlich im Bewußtsein zu fassen, allem auszuweichen, was mir hier eine Niederlassung verwehren könnte.“
In Zürich erhielt Wagner über einen alten Freund aus Wü̈rzburg, Alexander Mü̈ller, einen Pass nach Paris und reiste am gleichen Tag ab. Über Straßburg, wo er das Münster bestaunte, gelangte er am 2. Juni in Paris an. Doch Paris blieb enttäuschend für Wagner. Der ihm von Liszt anempfohlene Belloni war keine große Hilfe und zudem wütete die Cholera in der Stadt. In „Mein Leben“ berichtete er zudem von einer unerfreulichen Begegnung mit seinem überlegenen Konkurrenten Meyerbeer. Über einen Umweg nach Rueil kehrte er (erneut ausgestattet mit Geld von Liszt) am 6. Juli nach Zürich zurück.
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Brühl'sche Terrasse in Dresden |
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Ruine der Semperoper nach dem Aufstand
von 1848-49 |
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13 Jahre verhinderte der Haftbefehl Wagners Rückkehr nach Sachsen. Am 28. März 1862 wurde er schließlich amnestiert, und kehrte im November zu einem Besuch nach Dresden zurück. Hier traf er ein letztes Mal seine erste Frau Minna, von der er sich ein halbes Jahr zuvor getrennt hatte, und mit der er bis zu ihrem Tod 1866 verheiratet blieb. Sie wohnte weiterhin in Dresden und liegt auf dem Alten Annenfriedhof begraben.
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