1858 – 1864 Wanderjahre – Venedig, Luzern, Paris, Biebrich, Wien
Venedig – Liebeskrank und Geburt der musikalischen Moderne
Wagner verließ die spannungsgeladene Konstellation des Züricher „Asyls“ am 17. August 1858. Als Ort seines nächsten Exils wählte er (auf Anraten seines Freundes Karl Ritter) Venedig, da er hoffte, „als politischer Flüchtling, in Venedig, welches, obschon zu Österreich, dennoch nicht zum Deutschen Bunde gehörte, nichts zu befürchten“ (ML) zu haben – ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte.
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Richard Wagner (1860) |
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Tristan und Isolde |
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Palazzo Giustiniani am Canale Grande |
Am 29. August 1858 traf Wagner in Venedig ein und verbrachte die erste Nacht im Hotel Danieli. Am folgenden Tag quartierten sich Wagner und sein Begleiter Karl Ritter im Palazzo Giustinian am Canal Grande neben dem Ca' Foscari ein. Die etwas heruntergekommene Wohnung ließ Wagner nach seinem Geschmack umgestalten, dazu gehörten vergoldete Möbel, rote Tapeten und Teppiche, aber auch sein geliebter Erard-Flügel, den er sich zusammen mit seinem Bett von Zürich nach Venedig bringen ließ. Hier vollendete Wagner den zweiten Akt des „Tristan“.
Wagner fühlte sich in Venedig einsam, häufig war er krank. Er schrieb lange Briefe und führte ein für Mathilde Wesendonck bestimmtes Tagebuch. In „Mein Leben“ beschrieb er seinen Tagesablauf: „Ich arbeitete bis zwei Uhr, bestieg dann die bereitgehaltene Gondel, um den ernsten Canale Grande entlang nach der heiteren Piazzetta zu fahren, deren ungemein reiche Anmut jeden Tag von neuem belebend auf mich einwirkte. Dort suchte ich mein Restaurant auf dem Markusplatze auf, promenierte nach der Mahlzeit einsam oder mit Karl die Riva entlang nach dem Giardino pubblico, der einzigen mit Bäumen bepflanzten Anlage Venedigs, um dann mit dem Einbruche der Nacht auf der Gondel wieder in den immer ernster und schweigender sich anlassenden Kanal hinabzufahren, bis dahin, wo ich aus der nächtlichen Fassade des alten Palazzo Giustiniani einzig meine Lampe mir entgegenleuchten sah. Wenn ich dann einiges noch gearbeitet hatte, traf regelmäßig um acht Uhr, vom Plätschern der Gondel angemeldet, Karl bei mir ein, um beim Tee einige Stunden mit mir zu verplaudern.“
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"Tristan und Isolde" Bühnenbildentwurf von Alfred Roller |
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Der Tristan-Akkord |
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Mathilde Wesendonck |
Wagner verließ Venedig nur selten, gelegentlich machte er Ausflüge nach dem Lido und besichtigte Galerien und Kirchen. Die Venezianischen Theater besuchte Wagner nicht häufig, die italienische Oper lehnte er wegen der „großen Demoralisierung des italienischen Kunstgeschmacks“ (ML) ab. „Nur selten unterbrach ich diese Lebensweise durch den Besuch eines der Theater, von welchen ich dem Schauspiel im Theater Camploi [1894 abgerissen], wo Goldonische Stücke sehr gut aufgeführt wurden, den entschiedenen Vorzug gab, wogegen der Oper nur aus Neugierde eine vorübergehende Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Am häufigsten, namentlich wenn schlechtes Wetter an der Promenade hinderte, besuchten wir das am Tage sich produzierende Volksschauspiel im Theater Malibran; dort, wo der Eintritt sechs Kreuzer betrug, befanden wir uns unter einem vortrefflichen Publikum (meistens in Hemdärmeln), welchem am häufigsten Ritterstücke vorgespielt wurden. Doch sah ich hier auch eines Tages zu meinem wahrhaften Erstaunen und völligen Entzücken das groteske Lustspiel »Le baruffe Chiozziote«, welches bereits Goethe am gleichen Orte zu seiner Zeit so sehr angesprochen hatte und welches mit einer Naturtreue gegeben wurde, wie ich dem nichts Ähnliches aus meiner Erfahrung zur Seite stellen kann.“ (ML)
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Der Markusplatz in Venedig |
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Am Markusplatz wurden laut Wagner häufig in öffentlichen Konzerten auch Teile seiner eigenen Kompositionen gespielt: „Die Kapellmeister der beiden in Venedig kantonierten österreichischen Regimenter gingen damit um, Ouvertüren von mir, wie die zu »Rienzi« und »Tannhäuser«, spielen zu lassen, und ersuchten mich darum, in ihren Kasernen den Einübungen ihrer Leute beizuwohnen. […] Ihre Musikbanden spielten abwechselnd des Abends bei glänzender Beleuchtung in Mitte des Markusplatzes, welcher für diese Art von Musikproduktionen einen wirklich vorzüglich akustischen Raum abgab.“
Bei dieser Gelegenheit wurde sich Wagner aber auch der politischen Spannung bewusst, die in Venedig unter der habsburgischen Herrschaft bestand: „zu Tausenden scharte man sich um die Musik und hörte ihr mit großer Spannung zu; nie aber vergaßen sich zwei Hände so weit, zu applaudieren, weil jedes Zeichen des Beifalls an einer österreichischen Militärmusik als ein Verrat am Vaterlande gegolten haben würde. – An dieser sonderbaren Spannung zwischen Publikum und Behörde litt nun eben alles öffentliche Leben in Venedig, und namentlich äußerte sich dies auffallend in dem Verhalten der Bevölkerung gegen die österreichischen Offiziere, welche in der venezianischen Öffentlichkeit wie Öl auf dem Wasser herumschwammen.“
Auch Wagner selbst wurde schließlich Opfer dieser Spannung: „In Venedig, das damals von Österreich verwaltet wurde, galt Wagner als steckbrieflich gesuchter Revolutionär. Also wurde er observiert und als sich die Auseinandersetzungen zwischen den italienischen Patrioten des Risorgimento, die für ein unabhängiges und einiges Italien eintraten, und der österreichischen Besatzung militärisch zuzuspitzen begannen, erhielt er am 1. Februar 1859 einen Ausweisungsbefehl. Zwar konnte er Aufschub bewirken und so den zweiten Aufzug des „Tristan“ noch beenden, aber dann musste er abreisen, denn die Österreicher zogen nun gegen die italienische Freiheitsbewegung Truppen zusammen, und Wagner wollte vermeiden, in die sich abzeichnenden militärischen Auseinandersetzungen zu geraten.“ (UB) In Folge kehrte Wagner zurück in die Schweiz.
Luzern - Vollendung „Tristan und Isolde“
Wagner reiste über Mailand nach Como und Lugano und über den tiefverschneiten Gotthard nach Luzern am Vierwaldstättersee. Hierher hatte Wagner schon von Zürich aus Ausflüge unternommen, im Sommer 1850 hatte er auf dem Weg zum Rigi mit seiner Frau Minna Station gemacht. Dort soll er parallel zur von Franz Liszt geleiteten Weimarer Uraufführung des „Lohengrin“ ein imaginäres Orchester dirigiert haben.
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Das Hotel "Schweizerhof" in Luzern |
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Luzern mit dem Pilatus |
In Luzern quartierte Wagner sich am 28. März 1859 im vornehmen Hotel „Schweizer Hof“ ein. „Die Rechnung, die ich mir für den Aufenthalt an diesem Orte gemacht hatte, beruhte auf der Annahme, dass das dortige große Hotel zum Schweizerhof um diese Zeit bis zu dem Beginne der eigentlichen Sommersaison gänzlich leerstehe und ich somit daselbst ohne weitere Vorbereitungen ein geräumiges und von Geräusch ungestörtes Unterkommen finden würde. […] Oberst Segesser, der humane Wirt des Gasthofes, wies mir in dem linken Dependance-Gebäude eine ganze Etage zur beliebigen Bewohnung an, in deren Hauptgemächern ich es mir ohne große Kosten ganz bequem machen konnte.“ (ML)
Wagner wohnte im „Schweizer Hof“ fast ein halbes Jahr und komponierte den dritten Akt des „Tristan“, womit das Werk vollendet war.
Von hier aus machte er Spaziergänge und Ausritte, unternahm Ausflüge in die Umgebung, bestieg den Rigi und den Pilatus, besuchte aber auch mehrfach die Wesendoncks in Zürich. Nicht ohne Bedenken folgte Wagner nach Vollendung des „Tristan“ schließlich erneut dem Rat von Franz Liszt und brach im September 1859 ein weiteres Mal nach Paris auf.
Paris – Wagnèrisme und „Tannhäuser“-Skandal
Im September 1859 richtete Wagner sich erneut in Paris ein, wo er sich im Vertrauen auf einen baldigen Erfolg seine Wohnung aufwendig ausstattete und Hauspersonal anstellte. Im November kam auch Minna aus Dresden zu ihm.
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Camille Saint Saens |
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Charles Gounod |
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Gustave Doré |
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Charles Beaudelaire |
Anfang 1860 fanden drei Konzerte mit Teilen aus dem „Holländer“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und vollendeten „Tristan“ im Théâtre-Italien statt, endeten jedoch trotz großem Erfolg beim Publikum mit einem finanziellen Defizit. Wagner war inzwischen auch in Paris kein Unbekannter mehr. Das Jahr 1860 markiert den Beginn des „Wagnérisme“ im Sinn einer synästhetischen Rezeption der „Décadence““, Männer wie Charles Baudelaire, Gustave Doré, Charles Gounod oder Camille Saint-Saens wurden zu Wagners glühenden Verehrern. Tatsächlich ordnete Napoleon III. jetzt die ersehnte Aufführung des „Tannhäusers“ an, was Wagners Hoffnungen schürte, in der Kulturhauptstadt Europas endlich seinen gerechten Platz einnehmen zu können.
Wenige Tage nach den Konzerten hatte am 10. Februar 1860 in Jacques Offenbachs Théâtre des Bouffes-Parisiens „Le carnaval des revues“ Premiere. Eine Nummer dieser Karnevalsrevue war „Le musicien de l`avenir“, in der der „Zukunftsmusiker“ Wagner zu seinen Ungunsten mit Grétry, Weber, Mozart und Gluck konfrontiert wird, denen er entgegenhält: „Ah! Ah! Hier bin ich, hier bin ich, ich bin der Komponist der Zukunft und ich werde euch alle vernichten, euch, die Vergangenheit, euch, die Routine! Ich bin eine gesamte Revolution! Keine Noten mehr, keine Harmonie, kein Einstimmen mehr, keine Tonleitern, keine Vorzeichen, kein ‚forte’ mehr und kein ‚piano’!“. Diese Nummer wurde so populär, dass sogar Kaiser Napoleon III. sie nach einer Sondervorstellung von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ im April 1860 im Théâtre-Italien sah.
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Richard Wagner 1861
(nach einer Fotografie von
Pierre Petit et Trinquart) |
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Salle Le Peletier (ca. 1860),
die Pariser Oper |
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Theaterzettel zur 3. Aufführung
am 24. März 1861 |
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Der französische Kaiser
Napoleon III. |
Wagner begann mit der Umarbeitung des "Tannhäuser". Der Tradition des Hauses
folgend war er gezwungen, ein Ballett in seine Oper einzufügen, wozu er sich
bereit erklärte, um sich durch einen Erfolg in der Pariser Musikwelt zu
etablieren. Er weigerte sich jedoch, das Ballett im zweiten Akt einzuführen,
was den Gewohnheiten des einflussreichen aristokratischen Jockey Club
entgegengekommen wäre, deren Mitglieder während des ersten Aktes zu dinieren
pflegten, und erst zum Ballett im zweiten Akt erschienen, um sich danach "hinter die Kulissen zu näherem Verkehr mit den springenden Nymphen" zu
begeben, und legte sein Ballett als Bacchanal der Venus stattdessen in den
ersten Akt der Oper.
Nach 164 Proben fand am 13. März 1861 in Anwesenheit des französischen
Kaiserpaares die Aufführung statt. Die Mitglieder des Jockey Clubs, die auch
Feindseligkeiten gegen Fürstin Pauline von Metternich, die Frau des
österreichischen Botschafters, hegten, auf deren Initiative Kaiser Napoleon
III. die Aufführung angeordnet hatte, organisierten bei der zweiten
Aufführung am 18. März eine inszenierte Störaktion: "Die Ouvertüre und der
erste Aufzug verliefen ohne Störung. Aber bei der Wandlung […] brach
plötzlich der lang vorbereitete Angriff aus, und ein gewaltiges Pfeifen und
Lärmen unterbrach die Musik. Die Herren des Jockey-Clubs betrieben ihre
boshaften Störungen wegen des fehlenden Balletts nicht einmal im
Verborgenen, sondern saßen, recht geflissentlich sichtbar, in ihren mit
Glacéhandschuhen bedeckten Händen die kleine Trillerpfeife haltend. So ging
es die ganze Aufführung weiter. Die Sänger benahmen sich dabei wirklich
heldenmütig. Oft mußten sie 15 Minuten und noch länger anhalten, um den
Sturm, der im Publikum tobte, vorüberzulassen."
Drei Aufführungen lang währte die "Schlacht um Tannhäuser", die Oper war
Tagesgespräch in Paris, und jeder, der auf sich hielt, bemühte sich, eine
der raren Eintrittskarten zu ergattern. Der Jockey Club ließ silberne
Trillerpfeifchen verteilen mit der Inschrift: "Pour Tannhäuser". Bei der
dritten Aufführung am 24. März kam es sogar zu mehreren Unterbrechungen.
Dennoch bedeutete der "Tannhäuser- Skandal" keinen reinen Misserfolg für
Wagners Werke in Paris. Charles Baudelaire urteilte in seinem folgenreichen
Essay über "R. Wagner et Tannhauser à Paris": "Kein anderer Musiker reicht
an Wagner in der Fähigkeit, den Raum und die Tiefe, im wirklichen wie im
spirituellen Sinne, zu malen. […] Er besitzt die Kunst, durch feine
Abstufungen alles, was im geistigen und natürlichen Menschen an
Außerordentlichem, Maßlosem, Brünstigem vorhanden ist, auszudrücken."
Obwohl sich ein großer Kassenerfolg abzeichnete zog Wagner den „Tannhäuser“ nach der dritten Vorstellung zurück und verließ Paris. Für Deutschland hatten sich ganz neue Perspektiven eröffnet, denn seit Juli 1860 galt für ihn eine Teilamnestierung, die zwei Jahre auf ganz Deutschland ausgedehnt wurde.
Für Wagner begann nun ein rastloses Wanderleben, das ihn in den folgenden Monaten noch mehrfach nach Paris zurückführte. Ein knappes Jahr später wohnte er im Hôtel du Quai Voltaire, hier vollendete er die Verssetzung der „Meistersinger von Nürnberg“.
Im August 1861 traf Wagner zu einem Besuch in Wien ein und wohnte bei Dr. Josef Standhartner , Leibarzt der Kaiserin Elisabeth, der bis an sein Lebensende einer seiner treuesten Freunde wurde. Seraphine Mauro, die Nichte Standhartners, die „liebe Puppe“, sorgte für den Haushalt in dessen Wohnung in der Singerstraße und manches mehr. Wagner hatte den Wunsch, in Wien die Aufführung von „Tristan und Isolde“ vorzubereiten, Hofoperndirektor Matteo Salvi machte ihm Hoffnungen.
Zu Jahresbeginn 1862 lehtnen alle Freunde und Bekannten mit dem Ausdruck des Schreckens Wagners briefliche Bitten um Unterkunft ab.
Biebrich – hessische Frauen und Meistersinger
1859 hatte Wagner den Mainzer Musikverleger Franz Schott (1811–1874) kennen gelernt, der Interesse zeigte, sein Verleger zu werden. Ende 1861 bot Wagner ihm den Werksentwurf zu den „Meistersinger von Nürnberg“ an. Um die abgeschlossene Versdichtung seiner neuen Oper vorzustellen, veranstaltete er im stattlichen Verlagshaus Schott eine Lesung für Franz Schott und einen Kreis von geladenen Gästen. Das Publikum zeigte sich begeistert und Wagner bekam von Schott Geld vorgestreckt unter der Auflage, die Oper bis September fertig zu stellen.
Auf der anderen Rheinseite im „reizenden“ Biebrich quartierte sich Wagner im vornehmen Hotel „Europäischer Hof“ ein und fand schließlich eine Wohnung in der nahe gelegenen Villa Annica, die kurz zuvor vom Architekten Wilhelm Frickhofer fertiggestellt worden war. Die kleine Wohnung wurde zu Wagners Lebensmittelpunkt in einer unruhigen und von zahlreichen Reisen geprägten Zeit. Wagner genoss den Blick von der Villa auf das barocke herzoglich-nassauische Schloss auf der einen und auf den Rhein auf der anderen Seite. Um sich ganz seiner Arbeit widmen zu können und wegen „großer Unbeholfenheit im Haushalte“ mietete er sich ein Dienstmädchen, das ihm das Frühstück brachte. Wagner erwog sogar in der Nähe ein Festspielhaus zu errichten.
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Minna Planer,
Wagners Ehefrau |
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Die Villa Frickhöfer in Biebrich |
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Friederike Meyer,
Schauspielerin aus Frankfurt |
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Mathilde Maier,
Advokatstochter aus Mainz |
Wenig harmonisch gestaltete sich ein Besuch seiner Frau Minna im Februar 1862, die ohne Ankündigung eintraf und ihm in „zehn Tagen der Hölle“ immer noch Vorhaltungen wegen Mathilde Wesendonck machte: „Ich kann unmöglich mehr mit meiner Frau zusammen leben“, schrieb Wagner, es folgte die endgültige Trennung und eine persönliche Krise: „Keine Sicherheit, keine Einnahmen, Not und Sorge: keine Heimat, keine Familie, nichts!“
Trost fand er im März 1862 bei der Frankfurter Schauspielerin Friederike Meyer , die Schwester der Sängerin Marie-Luise Dustmann, die Wagners Wiener Isolde werden sollte. In einem Brief drückte Wagner ihr seine Bewunderung über ihr Schauspiel aus, und kurze Zeit später lernte er sie auch persönlich kennen. Friederike Meyer war zu jener Zeit die Geliebte des Frankfurter Theaterdirektors, was Wagner jedoch nicht daran hinderte, sie zu seiner Geliebten zu machen.
Auch für die Advokatentochter Mathilde Maier (1833-1910) aus Mainz, die er bei Schott kennen gelernt hatte, interessierte sich Wagner. Sie verlangte aber klare Verhältnisse, eine moralisch einwandfreie Beziehung und drängte auf Heirat, Wagner wollte sich aber aus Rücksicht auf Minna nicht scheiden lassen, was eine dauerhafte Bindung mit Mathilde (wohl ein Abbild des Evchen aus den „Meistersingern“) verhinderte.
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Cosima von Bülow (um 1857) |
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Mit dem Frühling trafen zahlreiche Besucher in Biebrich ein, darunter auch das berühmte Sängerpaar Ludwig und Malwina Schnorr von Carolsfeld, das unter Wagners Anleitung später den „Tristan“ einstudierte. Auch Hans von Bülow und seine Frau Cosima kamen zu Besuch. Bei einem gemeinsamen Ausflug nach Frankfurt kam es zu einer ersten Annäherung: „Als ich jetzt in Frankfurt Cosima über einen offenen Platz nach dem Gasthofe geleitete, fiel es mir ein, sie aufzufordern, sich in eine leer dastehende einräderige Handkarre zu setzen, damit ich sie so in das Hotel fahren könne: augenblicklich war sie hierzu bereit, während ich, vor Erstaunen wiederum hierüber, den Mut zur Ausführung meines tollen Vorhabens verlor. Bülow hatte, uns nachkommend, den Vorgang angesehen; Cosima erklärte ihm sehr unbefangen, was er zu bedeuten gehabt hätte, und leider durfte ich nicht annehmen, dass seine Laune auf der Höhe der unsrigen stände, da er sich seiner Frau mit Bedenken darüber äußerte.“ (ML). Cosima schrieb 1872 ins Tagebuch: „Der Karren ist zum Sternenwagen für mich geworden, auf welchem er mich fährt, dahin dahin, wo die Seelenheimat ist.“
Neben der privaten Partnersuche geriet die Arbeit an den „Meistersingern“ ins Stocken. Im Frühjahr hatte Wagner noch die Orchesterskizze fertig gestellt, mit der Komposition kam er aber nicht voran. Um Schott zu beschwichtigen, studierte Wagner in Biebrich die fünf Wesendonck-Lieder mit der Sängerin Emilie Genast und Hans von Bülow am Klavier ein und brachte sie in der Sommervilla der Familie Schott zur Uraufführung. Schott stellte dennoch die Zahlungen ein und beschied Wagner hellsichtig: „Überhaupt kann ein Musikverleger Ihre Bedürfnisse nicht bestreiten, dies kann nur ein enorm reicher Bankier oder Fürst, der über Millionen zu verfügen hat ...“.
Wien – Absage „Tristan und Isolde“ und Schuldenflucht
Wagner war seit Ende August 1862 mittellos und „in der Lage eines Ertrinkenden “. Im November verließ er Biebrich und reiste gemeinsam mit Friederike Meyer, die ihr Frankfurter Engagement ihm zuliebe gelöst hatte, nach Wien. Als ihr Engagement am Wiener Burgtheater scheiterte, schickte Wagner sie nach Venedig und brach den Kontakt mit ihr ab.
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Dr. Josef Standhartner
Leibarzt der Kaiserin Elizabeth, gehörte zu den engsten Freunden Wagners in Wien. |
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In der Wohnung des Leibarztes der Kaiserin Elisabeth, Dr. Standhartner, fand im November 1862 eine denkwürdige Lesung der „Meistersinger“-Dichtung statt. Unter den Gästen befand sich auch der Musikkritiker Eduard Hanslick, der sich in der Figur des Beckmesser porträtiert fühlte und zu einem mächtigen Gegner Wagners wurde. In einer Probe der Hofoper hörte Wagner erstmals vollständig den „Lohengrin“. Im Theater an der Wien fanden einige umjubelte Konzerte statt, erstmals mit Ausschnitten aus dem „Ring“, am 26. Dezember 1862 sogar im Beisein der Kaiserin Elisabeth.
Am 26. Dezember 1862 dirigierte Wagner ein Konzert im Theater an der Wien, bei dem Pogners Ansprache aus den „Meistersingern in Nürnberg“, die Versammlung der Meistersinger und der Walkürenritt im Orchestersatz ihre Uraufführung erlebten. Als Wagner auf die Bühne heraustrat, brach ein ungeheurer Beifall los, der minutenlang andauerte. Zum Konzert erschien sogar die Kaiserin Elisabeth, die sich applaudierend aus der Loge beugte – wann ward das je erlebt! Mit ergeben ausgebreiteten Armen dankte Wagner für diese Huldigung. Nicht geringere Ovationen erntete er nach dem Walkürenritt. Wagner hatte extra eine Schallwand errichten lassen, um eine bessere Wirkung zu erzielen, stürzte sich dadurch aber nur in noch tiefere Schulden. Vermutlich waren es Erlebnisse solcher Art, die Wagner jedesmal über seine wirkliche missliche Lage hinwegtäuschten.
In Wien entstand jenes Werk, das die größte Beziehung zu dieser Stadt hat: „Die Meistersinger von Nürnberg“. Der Komponist Peter Cornelius, sein getreuer Gefolgsmann, dem er zuvor die Geliebte weggenommen hatte, Seraphine Mauro, ein süsses Wiener Mädel, mit marmorbleichen Antlitz und schwarzen Locken, beschaffte Wagner aus der Wiener Hofbibliothek Jakob Grimms Schriften über den Meistergesang und wurde auch zum eifrigen Kopisten der Partituren.
Am 12. Mai 1863 bezog Wagner eine neue Wohnung in Penzing nahe Schloß Schönbrunn. Der Eigentümer des Hauses, Baron Rackowitz, vermietete ihm mehrere Räume im ersten Stock, die Wagner mit zahlreichem Personal, kostspieligen Einrichtungsgegenständen und wertvollen Teppichen ausstattete. Die Wohnung umfasste ein Wohn-, Musik-, Ess- und Schlafzimmer . Wagner ließ sich sein neues Heim – natürlich auf Schulden - so repräsentativ einrichten, dass Freunde vermuteten, Wagner habe die Absicht, jahrelang hier zu wohnen. Der Hausmeister Franz Mrazek und dessen Frau Anna wurden Wagner bald unentbehrlich; noch in Bayreuth hatte Wagner Kontakt zu seinem treuen Diener.
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Wagner (1862) |
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Wagner Villa in Wien Penzing |
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Gedenktafel |
Weder für „Tristan und Isolde“ noch für die im Entstehen begriffenen „Meistersinger von Nürnberg“ zeichnete sich aber die Chance einer Aufführung in Wien ab. Wagner versuchte durch das Dirigieren von Konzerten Geld zu verdienen, was angesichts seines aufwendigen Lebensstils auch dringend nötig war.
Die Feier seines 50. Geburtstags im Mai feierte er im Hause Standhartner. Am 27. Dezember 1863 dirigierte Wagner ein Konzert im Redoutensaal in der Hofburg, Solist war der berühmte polnische Pianist böhmischer Herkunft, Karl Tausig, den Wagner über Empfehlung von Franz Liszt kennen gelernt hatte. Der schon mit dreißig Jahren an Typhus verstorbene Tausig zählte zum engsten Vertrautenkreis Wagners. Silvester 1863 feierte Wagner noch mit seinen Freunden Standhartner und Peter Cornelius.
Beim dritten Konzert am 11. Januar 1864 wurde auch die Faust-Ouvertüre gespielt. Man zählte mehrere da capos und 23 Hervorrufe, nur waren die Verluste, die er durch reichliche Bewirtung der Musiker vermehrte, so beträchtlich, dass die Wiener Aristokratie zur Deckung der Unkosten sammeln mußte. Die Kritik verhielt sich merkwürdig unempfindlich gegenüber dem Publikumserfolg. Hanslick, der das Meistersinger-Vorspiel stets für die Nürnberger Wolfsschlucht ausgab, meinte, es schließe mit einem Instrumentallärm, der mit dem Untergang von Pompeji mehr Verwandtschaft habe als mit der Sängerzunft.
Doch stellten sich immer neue technische und organisatorische Schwierigkeiten ein. Alois Ander, der für den Tristan vorgesehen war, verlor die Stimme. Nach 77 Klavierproben und zwei Jahren wurde das Werk für unspielbar erklärt. „Meine Lage war, wie mir nun erst deutlich wurde, gänzlich verlassen, denn ich schien von aller Welt aufgegeben.“
Jedoch das aufwendige Leben im Penzinger Heim hatte sich gerächt und um der Schuldhaft zu entgehen, musste Wagner am 23. März 1864 Wien fluchtartig verlassen. „Ein gutes, wahrhaft hilfreiches Wunder muss mir jetzt begegnen, sonst ist’s aus!“, schrieb er an Cornelius wenige Tage nach seiner überstürzten Abreise.
Dieses Wunder sollte sich in der Person des Bayerkönigs Ludwig II. einstellen.
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