Bayreuth
Wagner betrachtete seine Pläne, in München ein Festspielhaus für die Aufführung des "Ring des Nibelungen" zu errichten, seit dem Sommer 1868 als endgültig gescheitert. Er zog sich in die Schweiz zurück und suchte fortan einen neuen Standort für seine Festspiele. Gegenüber Ludwig II., an dem er die Rechte an der Uraufführung des "Ring" abgetreten hatte, machte er wiederholt seinen Sinneswandel deutlich. Am 20. November 1869 schrieb er an den bayerischen Monarchen: "Wollen Sie mein Werk wie ich es will, - oder: wollen Sie es nicht so?" Mit diesem Ultimatum ließ Wagner seine neue Zielrichtung erkennen, auch wenn er noch keinen geeigneten Ort für dieses Unternehmen ausgefunden hatte.
Im März 1870 fand Wagner bei der Arbeit an seiner Autobiographie "Mein Leben" in einem Artikel eines Konversationslexikons einen knappen Hinweis auf das 1748 eröffnete Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth, dessen besondere Größe ausdrücklich erwähnt wurde. Tatsächlich bezog sich diese Aussage nur auf die Ausmaße des Bühnenhauses, jedoch nicht den Zuschauerraum. Wagner kannte zudem die Stadt Bayreuth nur aufgrund einer Durchreise am 26. Juli 1835, als er von Karlsbad kommend nach Nürnberg gefahren war. Er hatte die Stadt seitdem nicht mehr betreten. Dennoch holte Wagner gezielt Informationen ein, im Herbst 1870 beauftragte er den Zürcher Buchhändler Prell, Material über Bayreuth und das Opernhaus für ihn zu sammeln. Wagner muss sich frühzeitig darüber im Klaren gewesen sein, dass das Markgräfliche Opernhaus nicht seinen Vorstellungen entsprach. Dieses Rokoko-Theater war anlässlich der Hochzeit der Tochter der Markgräfin Wilhelmine, einer Schwester von Friedrich den Großen, eröffnet worden. Das alte Komödien-Haus, direkt hinter dem neu errichteten Theater, verkauften die Markgrafen an die jüdische Gemeinde von Bayreuth, die hier ihre Synagoge einrichten konnte. Das Markgräfliche Opernhaus diente neben dem Theaterbetrieb auch als Ballsaal; dies war der Grund für die großzügige Gestaltung der Bühne, mit einer Breite von 14 m und einer Tiefe von 30 m. Das Theater wurde nur zehn Jahre lang für einen regulären Spiel- und Festbetrieb benutzt. Nach dem Tod der Markgräfin 1768 und der Verlegung des Hofes nach Ansbach, wurde Bayreuth zu einer kulturell unbedeutenden Nebenresidenz, das Opernhaus wurde geschlossen. Nur unregelmäßig fanden im Markgräflichen Opernhaus Gastspiele auswärtiger Theatertruppen statt. So wurde am 30. Juni 1860, im Rahmen der Feiern des 50. Jahrestages der Eingliederung Bayreuths in das Königreich Bayern, Wagners "Tannhäuser" durch das Theater in Coburg aufgeführt. Möglicherweise hat Wagner durch die Aufführung seiner Oper erstmals Kenntnis von diesem Spielort erhalten.
Im April 1871, drei Monate nach Gründung des Deutsches Kaiserreichs, fuhren Richard Wagner und Cosima nach Bayreuth. Zu dieser Zeit war Bayreuth eine aufstrebenden Industriestadt mit rund 20.000 Einwohnern. Die in der Stadt ansässige mechanische Baumwollspinnerei, in der 600 Arbeiter beschäftigt waren, galt als eines der größten Unternehmen dieser Art im Deutschen Reich. Wegen der preußischen Vergangenheit war die politische Loyalität der Einwohner Bayreuths zum Königreich Bayern nicht gesichert. Noch 1866 gab es Überlegungen, nach der Niederlage Bayerns im Krieg gegen Preußen, die Stadt Bayreuth erneut dem preußischen Staat zuzuschlagen. Die Mehrheit der Bevölkerung war protestantisch, das Stadtbild wurde von einem zeitgenössischen Reiseführer als "Brandenburger Stil" beschrieben. Mit der Eisenbahn war Bayreuth nur über Weiden in der Oberpfalz erreichbar, so dass die Fahrtzeit von Nürnberg mehr als vier Stunden betrug. Auf dieser Route kam auch Richard Wagner am 17. April nach Bayreuth. Er inspizierte zwei Tage später das Markgräfliche Opernhaus, das sich als völlig ungeeignet für seine Pläne erwies. Dennoch hatte sich Wagner bereits jetzt auf Bayreuth als den Standort für das Festspielhaus festgelegt. Am 12. Mai 1871 machte er seine Entscheidung auch öffentlich bekannt. Ludwig II. hatte er zuvor nur darüber informiert, dass er sein Theater in Bayern errichten werden. In der Wahl des Standortes lag auch eine Rückversicherung, da Wagner darauf spekulierte, auch weiterhin von Ludwig II. finanziell gefördert zu werden, selbst wenn das Festspielhaus nicht in München gebaut werden sollte. Gegenüber dem Bayreuther Bankier Friedrich Feustel, der später die Leitung des Verwaltungsrates der Festspiele übernehmen sollte, begründete Wagner seine Entscheidung für Bayreuth in einem vertraulichen Brief vom 1. November 1871:
"Ueber das Unternehmen selbst erlaube ich mir Ihnen durch einen unter Kreuzband folgenden Beschluß eine nähere Aufklärung anzubieten. Warum ich für die Ausführung meines Planes mir gerade Bayreuth als Lokal ausgewählt, wird ohne vorbehaltene nähere Mittheilung meinerseits, für jetzt aus den Anforderungen, welche ich für dieses Lokal aufstellte, nicht unerräthlich sein. Der Ort sollte keine Hauptstadt mit stehendem Theater, auch keiner der frequentesten großen Badeörter sein, welche gerade im Sommer mir ein durchaus ungeeignetes Publikum zuführen würden; er sollte dem Mittelpunkte von Deutschland zu gelegen, und ein bayerischer Ort sein, da ich zugleich an eine dauernde Uebersiedelung für mich dabei denke, und diese im Fortgenuß der vom Könige von Bayern mir erwiesenen Wohlthaten, nur in Bayern zu treffen für schicklich finden muß. Außerdem hat mir schon in frühester Zeit dieser freundliche Ort mit seinen Umgebungen einen anziehenden Eindruck hinterlassen, und daß ich seinen Bewohnern noch ganz fremd bin, dürfte mich zunächst nicht abschrecken".
Wenige Tage nach diesem Schreiben fasste der Stadtrat von Bayreuth den Beschluss, Wagner ein Grundstück für das Festspielhaus kostenlos zur Verfügung zu stellen. Eine Woche später kam Wagner erneut nach Bayreuth, um den für ihn ausgesuchten Bauplatz im Stadtteil St. Georgen zu inspizieren, der sich später als ungeeignet herausstellte, da der Besitzer sein Eigentum nicht abtreten wollte. Im Januar 1872 wurde Wagner schließlich ein Gelände auf einer Anhöhe oberhalb der Stadt angeboten, die "Bürgerreuth". Hier befand sich ein 1839 erbautes Ausflugslokal mit einer besonders schönen Aussicht auf die Stadt Bayreuth. Am 1. Februar 1871 entschied sich Wagner für diesen Platz, den er in Erinnerung an das Haus der Familie Wesendonk "Grüner Hügel" nannte. Zugleich erwarb er mit Mitteln, die ihm Ludwig II. gewährt hatte, ein Grundstück am Hofgarten, um dort sein Wohnhaus, die "Villa Wahnfried" zu errichten. Seit April 1872 lebte Wagner mit seiner Familie dauerhaft in Bayreuth, zunächst im Hotel "Fantasie" im Ortsteil Donndorf, später in einem angemieteten Haus in der Stadtmitte. Im April 1874 konnte er die "Villa Wahnfried", sein erstes eigenes Wohnhaus, beziehen. Von den neun Jahren bis zu seinem Tod verbrachte Wagner jedoch nur eine begrenzte Zeit in Bayreuth. Zur Planung und Finanzierung der ersten Festspiele 1876 musste er wiederholt längere Reisen unternehmen, zudem fuhr Wagner aus gesundheitlichen Gründen, da ihn das Klima in Bayreuth zunehmend belastete, in seinen späteren Lebensjahren regelmäßig nach Italien.
Sämtliche Bauarbeiten am Festspielhaus konnten von den ortsansässigen Handwerker durchgeführt werden, nur die Bühnenbilder lieferte das Atelier Brückner aus dem nahegelegenen Coburg. Für die Veranstaltung der Festspiele 1876 erwies sich Bayreuth jedoch als zu klein und schlecht vorbereitet. Der Stadtrat von Bayreuth wollte die Festspiele zunächst verschieben, da zur selben Zeit in der Stadt eine Industrie-Messe stattfand und somit nicht genügend Unterkünfte zur Verfügung standen. Der aus Wien angereiste Kritiker Eduard Hanslick schrieb über diese beengten Verhältnisse in der "Neuen Freien Presse": "Ein Städtchen wie Bayreuth ist für so massenhaften Fremdenbesuch in keiner Weise vorbereitet, es fehlt nicht blos überall an Comfort, sondern häufig auch am Nothwendigen". Erst in den Jahren nach Wagners Tod, als Cosima die Leitung der Festspiele übernommen hatte, konnten die Bedingungen für die Besucher der Festspiele verbessert werden. |