1864 – 1865 Münchner Rettung – Königsfreundschaft
Ein wahrhaft hilfreiches Wunder
Wagner musste im März 1864 aus Wien fliehen, nachdem dort alle Pläne gescheitert waren und Schuldhaft drohte. Auf der Durchreise dichtete er in München bereits seine Grabinschrift: „Hier liegt Wagner, der nichts geworden, nicht einmal Ritter vom lumpigsten Orden; nicht einen Hund hinter'm Ofen entlockt' er, Universitäten nicht 'mal 'nen Doktor.”
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Hotel Marquard in Stuttgart |
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Richard Wagner 1863 |
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Ludwig II., |
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Münchner Residenz |
Wagner begab sich »abermals in Flucht begriffen und asylbedürftig« in die Schweiz nach Mariafeld zu Eliza Wille, die ihn beherbergte und Zeugin seiner hoffnungslosen Stimmung wurde. Er fühlte sich krank, Wesendoncks lehnten es ab, mit ihm in Verbindung zu treten, er war am Ende, ein im Hause Wille geduldeter, aber ungeliebter Gast, ohne Mut und Aussicht: »Ein gutes, wahrhaft hilfreiches Wunder muß mir jetzt begegnen; sonst ist's aus!« schrieb er am 8. April 1864 an seinen Freund Peter Cornelius.
Vor Eliza Wille rechtfertigte er sich: »Ich bin anders organisiert, habe reizbare Nerven; Schönheit, Glanz und Licht muß ich haben! Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche! Ich kann nicht leben auf einer elenden Organistenstelle wie Ihr Meister Bach! – Ist es denn eine unerhörte Forderung, wenn ich meine, das bißchen Luxus, das ich leiden mag, komme mir zu? Ich, der ich der Welt und Tausenden Genuß bereite!« Die Rückkehr François Willes setzte Wagners Asyl in Mariafeld ein Ende. Für Mathilde Wesendonck hinterließ er noch einen verschlossenen Brief, den diese aber ungeöffnet zurück schickte.
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Ludwig II.,
Geschenk-Porträt |
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Am 29. April 1864 traf Wagner in Stuttgart ein. Der Sänger Angelo Neumann, der später ein wanderndes Wagner-Theater gründete, hat Wagners Lage geschildert: „Als ich ins Hotel Marquardt zurückkehrte, wurde ich in meiner Ruhe empfindlich dadurch gestört, dass der Gast des Nebenzimmers ununterbrochen mit knarrenden Schuhen auf- und abging, und das Geräusch wurde auf die Dauer so lästig, dass ich den Kellner fragte, wer denn mein Nachbar sei, der wie ein gefangener Löwe da immer auf- und abgehe. Es wurde mir zu meiner Überraschung gemeldet, der unruhige Gast heiße Richard Wagner. Als ich später mit dem Hotelier Marquardt zusammentraf, teilte mir der als Kunstfreund bekannte Besitzer des Hotels im Vertrauen mit, der Meister sei in solcher Geldverlegenheit, dass er nicht zur table d'hôte, deren Bezahlung nach damaliger Gepflogenheit nach eingenommenem Mahle vom Kellner eingehoben wurde, herabkommen könne. Ich möge doch Wagner mitteilen: er sei bereit, ihm die beiden schönsten Zimmer seines Hauses einzuräumen, Wagner möge an die table d'hôte gehen, Zahlung verlange er überhaupt nicht, er sei glücklich, ihn unter seinem Dache zu wissen.“
In dieser Situation weckte die Anmeldung des Bayerischen Kabinettssekretärs von Pfistermeister natürlich Wagners Misstrauen und er ließ sich verleugnen. Am nächsten Morgen erschien der Hofrat jedoch erneut, drang diesmal zu Wagner vor und überbrachte die Botschaft des gerade auf den Thron gelangten Königs von Bayern, dessen Gunst er Wagner mit der Übergabe eines Ringes und eines Porträts versicherte. Noch am selben Abend des 3. Mai reiste Wagner mit Pfistermeister nach München, wo er tags darauf vom achtzehnjährigen Ludwig II. empfangen wurde.
Er ermöglichte Wagner mit zwanzigtausend Gulden, die Wiener Schulden zu begleichen, und überließ ihm als Wohnsitz das Landhaus Pellet am Starnberger See, nahe seinem Schloss Berg. Er bot ihm die Existenzgrundlage zur Vollendung des „Ring des Nibelungen” und war bereit, ein Festspielhaus zur Aufführung des Werkes und eine Schule zur Ausbildung geeigneter Künstler zu erbauen. Im nun ständigen Umgang mit dem jungen König gewannen nach und nach Wagners kühnste Hoffnungen Gestalt, um den „Sitz der Herrschaft des Geistes aufzuschlagen, wo alles Edle und Schöne seine Stätte finden” sollte (Ludwig II. an Wagner). „Die Schranken der Gewohnheit müssen wir durchbrechen, die Gesetze der gemeinen, egoistischen Welt einstürzen, das Ideal wird und muss in das Leben treten!”
Ludwig II. hatte sich offenbar schon im frühen Jugendalter in eine Phantasiewelt eingesponnen, die seiner Sensibilität Schutz vor dem Leben bot. Als Jüngling von bedenklicher Schwermut und Menschenscheu, schön, dunkeläugig und homophil, hatte er einen entscheidenden Eindruck von dem ersten Opernbesuch seines Lebens davongetragen: es war Wagners „Lohengrin“. Der fünfzehnjährige Kronprinz vergoss Tränen des Entzückens und lernte sogleich das Textbuch auswendig, las die übrigen Dramen Wagners und mit besonderem Interesse »Das Kunstwerk der Zukunft«. Im Dezember 1861 sah er „Tannhäuser“, dann las er „Tristan und Isolde“ und den „Ring des Nibelungen“.
Nachdem Wagner das Haus Pellet eingerichtet und mit den Textilien einer Wiener Putzmacherin ausstaffiert, das dienstbare Ehepaar Mrazek und seinen Hund aus Wien herbeigeholt hatte, war ihm die Einsamkeit seiner neuen Existenz bewusst geworden. Zunächst sandte er Botschaften an Mathilde Maier und eine Wiener Freundin; diese lehnten es jedoch ab, ihm Gesellschaft zu leisten. So lud er denn im Juli 1864 Hans und Cosima von Bülow ein, sich mit ihren Töchtern Daniela und Blandine für einige Zeit bei ihm einzurichten. Hans von Bülow, Wagners siebzehn Jahre jüngerer Freund und der geniale Interpret seiner Werke, der einst im Oktober 1850 einen ermutigenden Brief Wagners in der Hand - stehenden Fußes Elternhaus und Jurisprudenz hinter sich gelassen hatte und in einem zweitägigen Marsch nach Zürich geeilt war, um unter Wagners und Liszts Fittichen seine künstlerische Laufbahn zu beginnen, hatte 1857 Cosima Liszt geheiratet und sich in Berlin niedergelassen. Cosima meinte später, auf diese Ehe zurückblickend, sie hätte Bülow niemals beglücken, ja auch nur erfreuen können.
Schon bei ihrem Abschied in Zürich, wohin die Hochzeitsreise das Ehepaar Bülow geführt hatte, war Wagner ein merkwürdiger Ausdruck in Cosimas Mienen aufgefallen. Als er 1862 in Frankfurt den Freunden eines Abends „Wotans Abschied” vorgetragen hatte, fühlte er sich beim Anblick Cosimas an diesen Ausdruck erinnert, nur dass ihm diesmal das Ekstatische desselben in eine heitere Verklärung aufgelöst schien: „Hier war alles Schweigen und Geheimnis, nur nahm mich der Glaube an ihre Zugehörigkeit zu mir mit solcher Sicherheit ein, dass ich bei exzentrischer Erregung es damit selbst bis zu ausgelassenem Übermute trieb.”
Schließlich kam es am 28. November 1863 auf einer Spazierfahrt in Berlin zum Geständnis der Zusammengehörigkeit: „Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir das Bekenntnis, uns einzig gegenseitig anzugehören.” („Mein Leben“, in den Ausgaben vor 1963 gestrichen)
Am 29. Juni 1864 traf nun Cosima von Bülow mit ihren Töchtern bei Wagner im Haus Pellet ein. Während Bülow noch für eine Woche in Berlin zurückgehalten war, besiegelte sie ihre Verbindung mit Wagner. Zunächst schien ihr wohl ein Arrangement zu dritt möglich. Bülow, der nach seiner Ankunft mehrmals schwer erkrankte, verzichtete nicht auf Gegenwehr - Wagners Annalen verzeichnen sein „Zähnefletschen” bei der Abreise am 29. Juli 1864 und seine Übersiedlung im August nach München: „krank und wütend im Gasthof' -, doch konnte er sich seiner Aufgabe an Wagners Werk nicht entziehen und ließ sich im November 1864 zum königlichen Vorspieler und später zum Dirigenten berufen - in München nieder. Wagner, für den Takt eher eine musikalische Größe war, versuchte ihn auf die zugedachte Rolle einzustimmen: „Cosimas leidender Zustand ängstigt auch mich. Alles was sie betrifft, ist außerordentlich und ungewöhnlich: ihr gebührt Freiheit im edelsten Sinne. Sie ist kindlich und tief - die Gesetze ihres Wesens werden sie immer nur auf das Erhabene leiten. Niemand wird ihr auch helfen, als sie sich selbst! Sie gehört einer besonderen Weltordnung an, die wir aus ihr begreifen lernen müssen. - Du wirst in Zukunft günstigere Musse und eigene Freiheit in besserer Genüge haben, um dies zu beachten und Deinen edlen Platz an ihrer Seite zu finden. Auch das gereicht mir zum Trost!”
Während Wagner sich nun der Partitur des „Siegfried” - am 7. Oktober 1864 gab der König den offiziellen Befehl zur Vollendung des „Ringes”, den er kurz darauf für dreißigtausend Gulden kaufte - zuwandte und sich mit den Plänen zur Errichtung eines Festspieltheaters und einer Musikschule beschäftigte, eilte Cosima zwischen Bülow und Wagner hin und her. Wagner hatte am 15. Oktober 1864 die Villa Jochmus in der Münchner Briennerstraße bezogen und sich mit der gewohnten kostspieligen Behaglichkeit eingerichtet, die er zum Arbeiten brauchte. Allerdings erforderten die Arbeit am „Ring”, die Leitung der Münchner Erstaufführung des „Fliegenden Holländers” (4. Dezember 1864), die Festspielpläne und die Vorbereitung der Uraufführung von „Tristan und Isolde” alle Kräfte. Cosima versuchte, ihn durch Sekretärsarbeiten zu entlasten, sie übernahm Korrespondenzen und Pflichten einer Hausdame, begann nach Wagners Diktat die Autobiographie „Mein Leben” niederzuschreiben.
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Festspielhaus München |
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Festspielhaus München |
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Gottfried Semper |
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Im Dezember hatte Gottfried Semper vom König den Auftrag erhalten, das geplante Festtheater für Wagner zu entwerfen. Wagners „Bericht an seine Majestät König Ludwig H. von Bayern über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule” hatte der König mit Wohlwollen im März 1865 aufgenommen. Auch die Uraufführung von „Tristan und Isolde” am 10. Juni 1865 unter Hans von Bülows Leitung war angetan, Wagners Position in München zu stärken. Wenn das Werk auch mehr Achtung als Verständnis fand, war der künstlerische Erfolg unbestreitbar. In Bülow und dem Sängerehepaar Schnorr von Carolsfeld hatte Wagner kongeniale Interpreten gefunden. Schnorrs Tod wenige Wochen nach der Uraufführung war für ihn ein furchtbarer Schlag. Der König fühlte durch das Werk verwandteste Saiten in seiner Seele angeschlagen. Nun verlangte er sehnlichst von „Parzival” (noch in dieser Schreibweise) zu hören. Wagner notierte bereits im August 1865 für Cosima in seinem Tagebuch den ersten Textentwurf. Er ertrug ihre Abwesenheit während dieses Sommers schwer: „Du lockst mir noch mein Werk aus der Seele. Ach, aber! Gieb mir Ruhe dazu! Bleibe bei mir, geh' nicht wieder. Sag's dem armen Hans offen, dass ohne Dich es mit mir nicht mehr geht. 0 Himmel, könntest Du ruhig vor der Welt mein Weib sein!” Doch es sollte schlimmer kommen.
Wagner hatte sich auf die gefühlvoll phantastische Gedankenwelt des jungen Königs, den er im intimen Kreise „Parsifal” nannte, eingestimmt und stilisierte sich selbst in die Rolle eines „Gurnemanz”, der die Fäden der Erkenntnis in der Hand hält. Er übersah, dass der König weder ein „flüchtiger Göttertraum”, noch sein „Junge”, sondern auch ein Politiker war, der ständig mit den Zwängen seines Berufes hadernd in seinem exzentrischen Kunstenthusiasmus Zuflucht suchte, immerhin aber seine Krone aus dem Machtkampf Preußens und Österreichs im Krieg 1866 zu retten wusste, ebenso wie die relative Eigenständigkeit Bayerns vor dem Zugriff Bismarcks.
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Wagner und sein Hund Pohl am 17. Mai 1865 vor der Uraufführung von »Tristan und Isolde« in München (von links nach rechts) Friedrich Uhl, Richard Pohl, H. von Rosti, Auguste de Gaspérini, August Röckel, Hans von Bülow, Adolf Jensen, Carl Gille, Franz Müller, Felix Draeseke, Alexander Ritter, Leopold Damrosch, Heinrich Porges, Michael Moszonyi |
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1864 begann er, gegenüber dem König eine handfeste Realpolitik zu betreiben. Zunächst opferte er dem monarchistischen Idealismus des Königs mit der Schrift „Über Staat und Religion” indem er seine revolutionäre Vergangenheit als nur dem „äußeren Schein der Umstände” nach politisch bezeichnete und in salonkommunistischer Prosa haarscharf an einem Widerruf seiner Züricher Auffassungen vorbeisteuerte. Der Staat brauchte nun nach seiner Ansicht Stabilität, die allein der Monarch gewährleistete, im übrigen habe er sich seit jeher nur eine Organisation des gemeinsamen öffentlichen Lebens vorgestellt, welche von selbst zu einer schönen Gestaltung des menschlichen Geschlechts führen musste.
1865 folgten Aufzeichnungen über die Frage „Was ist deutsch?”, mit denen Wagner seinen politischen Einfluss auf den König untermauern wollte. Wagner stellte fest, dass deutsch sei, was im Sinne dessen gewirkt werde, dass „das Schöne und Edle nicht um des Vortheils, ja selbst nicht um des Ruhmes und der Anerkennung willen in die Welt tritt”. Die Revolution von 1848 und die Demokratie - die „übersetzte französisch-jüdische-deutsche Demokratie” - erkannte er nun als „undeutsch”. Franzosen und Juden - die übrigen „J’s“, Juristen, Jesuiten und Journalisten, kamen später hinzu - mussten als die notwendige Bedrohung von außen herhalten, angesichts derer sich die Anhänger des „deutschen Geistes” vor Anfechtungen durch die Vernunft wappnen konnten.
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Wagner mit Cosima, dahinter ihr Mann Hans von Bülow nach der Probe von "Tristan und Isolde" in der Münchner Maximilianstraße (1864) |
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Wagner, dem jedes Mittel recht war, sein Kunstwerk zu etablieren, notierte am 19. August 1865: „Die Welt, die ich nicht formen kann, muss ich nur vergessen: es ist diess das einzige Verhältniss, in welchem ich zu ihr stehen kann. Ganz künstlich, wie ein tropisches Gewächs im Wintergarten, muss ich mich gegen die Athmosphäre der Wirklichkeit abschliessen, es geht nicht anders. Alles Andere ist Missbrauch, Aufreibung - nutzlose Vergeudung meiner Lebenskräfte.“
Wie gegen die politischen Ambitionen Wagners richtete sich die Stimmung der Münchner mehr und mehr gegen seine Verschwendungssucht. Der „Neue bayerische Courier” schrieb: „Das geringste Übel, das dieser Fremdling über unser Land bringt, lässt sich in Bezug auf seinen unersättlichen Appetit nur mit monatelang die Sonne verfinsternden Heuschreckenschwärmen vergleichen. Dieses schreckliche Bild einer Landplage aus pharaonischen Zeiten ist aber noch gar nichts gegen das Unheil, welches dieser sich maßlos überschätzende Mensch anstiften muss, wenn er statt Zukunftsmusik auch noch Zukunftspolitik treiben kann ...
Auch seine Beziehung zu Cosima von Bülow, die am Tage der ersten Orchesterprobe zu „Tristan” Wagners Tochter Isolde zur Welt gebracht hatte, war nicht unbemerkt geblieben und dem Klatsch ausgesetzt. Die Beamten des Hofes hatten bereits seit geraumer Zeit Wagners Pläne, München kulturell umzukrempeln, im Getriebe des Amtsweges stillschweigend versickern lassen und nur auf den Moment gewartet, wo den „Lolus” Ludwigs II. das gleiche Schicksal wie die Mätresse Lola Montez Ludwigs I. ereilen würde. Als Wagner sich zu Angriffen gegen das bayerische Kabinett provozieren ließ, drohte dieses mit geschlossenem Rücktritt und dem König blieb nichts anderes übrig, als Wagner am 6. Dezember 1865 zum Verlassen Bayerns aufzufordern.
Cosima von Bülow war dem Zusammenbruch nahe. Ludwig II. äußerte Selbstmord- und Abdankungsabsichten, wogegen Wagner ihn des Wankelmuts bezichtigte und ihm aus Frankreich wütend einen Dramenentwurf über „Rolands Tod” zusandte: Karl der Große wird von dem Verräter Ganelon getäuscht und lässt den treuen Roland umkommen.
Doch war nicht alles verloren; zwar hatte die Münchner Zeit, die Wagner später das elendste, beschämendes, intriganteste Intermezzo nannte, ein Ende gefunden, aber die Festspielpläne, das vom König ausgesetzte Gehalt, die Hoffnung auf eine Rückkehr nach München blieben.
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